Die thailändische Literatur ist bisher im Westen relativ unbekannt. Während man sich der Literatur der meisten außereuropäischen Völker bereits seit über 200 Jahren widmet, beschäftigt man sich mit der Literatur der Thais erst seit einigen Generationen. Nur sehr wenige ausgewählte Werke liegen überhaupt in einer Übersetzung vor.[1]

Auch für die meisten Thais ist es schwierig, sich mit Literatur zu befassen, ist doch ein Großteil der historischen Werke noch gar nicht gedruckt, während andere nur als Handschriften in der Nationalbibliothek vorliegen, von deren Existenz bestenfalls Fachleute Kenntnis haben.

Im Jahre 1996 erstellte Professor Witayakorn Chiangkul (วิทยากร เชียงกูล) der Rangsit-Universität im Auftrag des Thailand Research Fund mit einer Reihe von Wissenschaftlern eine „Liste der 100 Bücher, die jeder Thai lesen sollte“ (หนังสือดี 100 เล่มที่คนไทยควรอ่าน). In einem Bericht gab er später zu, dass die meisten Titel nur schwer erhältlich seien, selbst wenn sie nur etwa 20 Jahre alt sind.[2]

Auf heute thailändischem Boden wurde auch buddhistische Literatur auf Pali verfasst, insbesondere von Mönchen im Lan-Na-Reich des 15. und 16. Jahrhunderts.

Literatur der Sukhothai-Periode

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Im Jahr 1283 wurde ein Vorläufer der heutigen thailändischen Schrift von König Ramkhamhaeng eingeführt. König Ramkhamhaeng entwickelte die Schrift nach dem Vorbild der damaligen Khmer-Schrift, die letztlich auf den südlichen Zweig der indischen Brahmi-Schriftfamilie zurückgeht. Bis zur Zerstörung der Stadt Ayutthaya im Jahr 1767 wurden die thailändischen Werke von Angehörigen des Adels auf Palmblattmanuskripten verfasst. Die meisten dieser Erzählungen befassen sich mit Göttern und anderen Wesen der buddhistischen und hinduistischen Mythologie.

Wahrscheinlich die älteste Dichtung, wohl aus der Sukhothai-Zeit stammend, sind die Suphasit Phra Ruang („Die Sprichworte des Phra Ruang“).[3] Die literarische Gattung der Suphasit (Sanskrit: subhāṣita), lehrhafter, manchmal auch moralisierender Verse, setzte sich bis in das 20. Jahrhundert fort.

Das bekannteste und inhaltlich auch bedeutendste Werk aus der Sukhothai-Zeit ist die Traibhumikatha (auch: Tebhumikatha - „Abhandlung über die drei Welten“, oder auch: Traiphum Phra Ruang).[4] Sie entstand vermutlich im Jahr 1345 im Auftrag des Sukhothai-Herrschers Lithai (พญาลิไทย).[5] Der Einfluss dieses Werkes auf Kunst und Architektur ist noch heute spürbar.

Ebenso legendär wie Phra Ruang ist die Haremsfrau Nang Nopphamat (นางนพมาศ), die „erste Schriftstellerin Siams“. Sie soll unter Loe Thai als Tochter des Hofbrahmanen und Purohits Chotirat (โชติรัตน์, auch: Phra Si Mahosot พระศรีมโหสถ) und dessen Frau Reodi (เรวดี) geboren sein und am Hof „Phra Ruangs“ gedient haben. Als Haremsdame („Thao Si Chulalak“, ท้าวศรีจุฬาลักษณ์) von König Lithai schrieb sie in ihren „Anstandsregeln für Haremsdamen“ (Tamrap thao si chulalak) einige Bräuche des Hofes nieder.

Literatur der Ayutthaya-Periode

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Die Literatur der Ayutthaya-Zeit stammt hauptsächlich aus der Regierungszeit der Könige Trailok (Borommatrailokanat) (reg. 1448–1488), Narai (reg. 1656–1688) und Borommakot (reg. 1733–1758).

Frühe Ayutthayazeit

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Aus den ersten beiden Jahrhunderten der Ayutthaya-Periode ist uns wenig überliefert. Zum einen mag einiges nicht erhalten sein, zum anderen jedoch diente diese Zeit mehr der militärischen Konsolidierung, so dass für literarisches Schaffen wenig Muße blieb.[6]

Von kulturhistorischem Interesse ist ein vom Anfang der Dynastie erhaltener Text (Ongkan chaeng nam ลิลิตโองการแช่งน้ำ, etwa „Königlicher Wasserfluch“), einem Zyklus von Versen, die von den Hofbrahmanen anlässlich der Zeremonie der Treueeidablegung rezitiert wurden. Bevor Militärs und zivile Beamte ihren Eid leisteten, wurden die königlichen Waffen in Weihwasser getaucht, das anschließend von den Schwörenden getrunken wurde. Währenddessen rezitierten Brahmanen Verse, die dem Eidesbrecher Fluch und Strafe androhten.[7]

Der Sieg von König Trailok (Boromatrailokanat) (1448–1488) über das nordthailändische Fürstentum Chiang Mai wird im Lilit Yuan Phai (ลิลิตยวนพ่าย „Die besiegten Nordländer“) beschrieben. Vermutlich auch auf Anregung König Trailoks soll die auf dem Vessantara-Jataka basierende Dichtung Thet Mahachat entstanden sein.[8]

Die Regierungszeit König Narais (1657–1688)

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Die Regierungszeit von Narai dem Großen (พระนารายณ์มหาราช) wird allgemein als die Goldene Periode der Poesie anerkannt. An seinem Hofe entstand das vierzeilige Metrum Khlong (โคลง). Der König veranstaltete regelrechte Khlong-Wettbewerbe, indem er ein, zwei Zeilen vorgab, die seine Höflinge dann vervollständigten.

Die romantische Erzählung Lilit Phra Lo (ลิลิตพระลอ - „Die Geschichte des Prinzen Lo“) ist das erste Beispiel thailändischer Unterhaltungsliteratur. Die Geschichte des Prinzen Lo wurde in einem Metrum, Lilit (ลิลิต), geschrieben, das Verse mit skandierender Prosa mischt.[1]

Von den vielen Talenten am Hofe des Königs blieben uns über die Jahrhunderte die Namen von Maharatchakhru „Der große, königliche Lehrer“, Phra Horathibodi „Der Hofastrologe“ – er verfasste das erste „Grammatikwerk“/Lehrbuch für Sprache und Dichtung bzw. Metrik, die Chindamani –, Si Mahosot und Si Prat (ศรีปราชญ์) überliefert.

König Narai soll auch an zahlreichen Übersetzungen zu buddhistischen „Geburtsgeschichten“, den Jatakas, beteiligt gewesen sein.

Späte Ayutthayazeit

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Am Ende des 17. Jahrhunderts entstand die lyrische Gattung Nirat (นิราศ). Der bekannteste Vertreter dieser Gattung ist der Schriftsteller Si Prat, später auch Sunthon Phu.

Auch König Borommakot (1733–58) war als Dichter anerkannt. Berühmter wurde jedoch sein Sohn Chaofa Thammathibet (เจ้าฟ้าธรรมธิเบศร). Er wird als einer der bedeutendsten Dichter des Landes angesehen, seine Werke gehören zur Pflichtlektüre an thailändischen Schulen. Geradezu synonym mit seinem Namen werden seine „Ruderlieder“ (กาพย์เห่เรือ - Kap He Ruea) gebraucht. Von ihnen gibt es verschiedene Arten, manche preisen die Schönheit der Boote der Königlichen Bootsprozession, andere einzelne Boote und ihre Ruderer, wieder andere beschreiben Bäume und Blumen am Ufer oder wunderschöne Mädchen. Heute werden seine Ruderlieder bei der Prozession der königlichen Barken auf dem Mae Nam Chao Phraya (Chao-Phraya-Fluss) benutzt, damit die Ruderer nicht aus dem Takt kommen.

 
Kleiner Ausschnitt aus dem Ramakien, Wandmalerei im Wat Phra Kaeo, Bangkok

Literatur der Thonburi-Zeit und frühen Rattanakosin-Periode

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Im Jahr 1797 entstand unter der Aufsicht von König Phra Phutthayotfa Chulalok (Rama I., regierte von 1736 bis 1809) die thailändische Version des indischen Nationalepos Ramayana: das Ramakien hat im 18. Jahrhundert die thailändische Kultur sehr beeinflusst. Seither wird dieses Epos, das sich in einigen Aspekten vom Ramayana unterscheidet, in Schulen unterrichtet und gelehrt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden am Königshof zahlreiche Theaterstücke sowie literarische Werke. Die Könige Phra Phutthayotfa Chulalok und Phra Phutthaloetla (Rama II., regierte von 1809 bis 1824) waren an der Adaption der alten javanesischen Erzählung Inao (อิเหนา) beteiligt und haben die thailändische Literatur gefördert.[9] Die Romanze Inao zählt zu den wichtigen Werken des 19. Jahrhunderts, da sie sich mit den Gewohnheiten und Bräuchen der Kultur auseinandersetzt.

Der thailändische Dichter Sunthon Pu (สุนทรภู่, 1786–1855) schrieb im Jahr 1807 das Nirat „Phra Bat“. In den darauffolgenden Jahren arbeitete er an dem Epos „Phra Aphai Mani“, das zu seinen berühmtesten Werken zählt. In diesem romantischen Abenteuer durchlebt ein Prinz viele Abenteuer in Thailand.

Ebenfalls in dieser Zeit niedergeschrieben wurde das Versepos Khun Chang Khun Phaen.[10] Der Stoff, eine klassische Dreiecksgeschichte, geht auf überlieferte Folklore zurück, die über Generationen von sogenannten Sepha-Erzählern vorgetragen wurden. Im frühen 19. Jahrhundert wurde er dann von mehreren Autoren des literarischen Salons am Hofe Rama II. – darunter auch Sunthon Phu – festgehalten und um viele Details und Ausschmückungen erweitert. Das Werk ist einer der wichtigsten Klassiker der thailändischen Literatur, war Vorbild für zahlreiche Lieder und Kunstwerke, prägt eine Reihe von Sprichwörtern und Redewendungen der thailändischen Alltagssprache und ist mehrfach verfilmt worden.

Die Könige Chulalongkorn (Rama V., regiert von 1868 bis 1910) und Vajiravudh (Rama VI., regiert von 1910 bis 1925) waren auch Schriftsteller, die erstmals auch in Prosa geschrieben haben. Chulalongkorn setzte die Bildungspolitik seines Vorgängers fort und schrieb während seiner Reise in Europa im Jahr 1906 die Sammlung Klai Ban („Fern von Zuhause“)[11]. Vajiravudh interessierte sich in seiner Kindheit sehr für Literatur und Sprachen. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Matthana Phatha, Phra non Kham Luang oder Artikel wie Muang Thai Chong Tun Thoet.[12]

Aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts stammt der erste Druck der Erzählungen um Sri Thanonchai (Thai: ศรีธนนท์ชัย), eine dem Till Eulenspiegel verwandte Figur der thailändischen Volksliteratur.

Moderne Thai-Literatur

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Der thailändische Schriftsteller Phya Anuman Rajadhon (1888–1969) ist ein anerkannter Vertreter der modernen thailändischen Literatur. Als Präsident der Siam Society war er an der thailändischen Kultur sehr interessiert und veröffentlichte zahlreiche Artikel (Popular Buddhism in Siam and Other Essays on Thai Studies) sowie Bücher. Sein 100. Geburtstag wurde im Jahr 1988 von der UNESCO gefeiert, als ihn der thailändische Sozialaktivist und Wortführer der gewaltfreien Demokratiebewegung Sulak Sivaraksa als „National Hero“ - National-Held würdigte.

Im Jahr 1905 wurden drei Personen geboren, die in den späteren Jahren erfolgreiche Bücher veröffentlichen werden. M.L.Bupha Nimman Hemin (ม.ล.บุปผา นิมมานเหมินทร์), auch unter ihrem Künstlernamen Dokmaisod (ดอกไม้สด) bekannt, war eine einflussreiche Autorin der modernen thailändischen Literatur. Sie war vor allem in dem Genre „Familiendrama“ vertreten und konnte bekannte Bücher wie „Kwam Phid Krang Raek“ (ความผิดครั้งแรก - First Mistake) oder „Sam Chai“ (สามชาย - 3 Men) herausbringen. Ihr Buch Nueng Nai Roi (หนึ่งในร้อย) steht auf der „Liste der 100 Bücher, die jeder Thai lesen sollte“.[2] Kularb Saipradit (กุหลาบ สายประดิษฐ์) war als Sri Burapha (ศรีบูรพา) in den frühen 1930er Jahren ein bekannter Kolumnist und veröffentlichte Werke wie Lae Pai Khang Na (แลไปข้างหน้า: ภาคปฐมวัย - Looking Forward) oder Khang Lang Phab (ข้างหลังภาพ - Behind the Painting). Arkatdumkeung Rabhibhadana (ม.จ.อากาศดำเกิง รพีพัฒน์, * 12. November 1905) schrieb eine Reihe von dramatischen Büchern, die er unter dem Titel Lakorn Haeng Chivit (ละครแห่งชีวิต) veröffentlichte. Diesen drei Autoren wurde im Jahr 2005 ein Satz thailändischer Briefmarken gewidmet.[13]

Malai Choopinij befasste sich unter seinem Künstlernamen Mae Anong und Noi Intanon intensiv mit Kurzgeschichten. Seine bekanntesten Werke sind Thung Maharat und die Abenteuergeschichte Long Phrai.

Zu den bedeutendsten Vertretern der thailändischen Literatur im 20. Jahrhundert zählen der Premierminister Kukrit Pramoj sowie Pira Sudham. Kukrit Pramoj (คึกฤทธิ์ ปราโมช; * 20. April 1911, † 9. Oktober 1995) schrieb vorwiegend Kurzgeschichten, die sich mit der thailändischen Kultur befassen. Eine bekannte Sammlung von Kurzgeschichten erschien unter dem Titel „Lai Chiwit“ (Many Lives) in Thailand. Im Januar 2000 wurde dieses Drama in die englische Sprache übersetzt und in Europa veröffentlicht.[14] Sein aufwendigstes Werk erschien unter dem Titel „Si Phaen Din“ (Four Reigns) im Jahr 1953. Dieses Werk wurde auch in die englische Sprache übersetzt und erschien im Jahr 1999. Es diente sogar als Vorlage zu einer populären TV-Serie in Thailand. Das historische Drama befasst sich mit dem König Chulalongkorn und der damaligen Gesellschaft. Pira Sudham (พีระ สุธรรม - *1942) stammt aus dem Isan. Zahlreiche seiner Bücher („The Force of Karma“, „Monsoon Country“), welche seine Liebe zu den Menschen des thailändischen Nordostens dokumentieren, sind ins Englische übersetzt worden. Bekannt sind auch die Autorin Ngarmpun Vejjajiva sowie Chot Praephan, dessen am birmesischen Königshof spielende Geschichte Phu chana Sip Thit Vorlage für eine Fernsehserie wurde.

Literatur

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  • Plueang Na Nakhon เปลื้อง ณ นคร.: Prawat Wannakhadi Thai Samrap Naksueksa ประวัติวรรณคดีไทย สำหรับนักศึกษา. 7. Auflage. Thaiwatthanaphanit, Bangkok 2525 B.E. [c1982].
  • Sombun Bunrit& Thawisak Thongthip (Editoren) สมบูรณฺ บุญฤทธิ์, ทวีศักดิ์ ทองทิพย์ (บรรณาธิการ). (Autoren: Dozenten (คณาจารย์) der MCU.) Ngan wichai lae wannakam thang phraphutthasatsana (Research and Literary Works on Buddhism) งานวิจัยและวรรณกรรมทางพระพุทธศาศนา. Mahachulalongkornrajavidyalaya-Universität, Bangkok 2008.
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Einzelnachweise

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  1. a b Klaus Wenk: Die Literatur der Thai - Ein Überblick. Deutsch-Thailändische Gesellschaft, Bonn 1992, ISBN 3-923387-17-2.
  2. a b Book Review: „Hundred Best Thai Books in the Past Hundred Years“ und Liste der 100 Bücher (Memento vom 9. Mai 2008 im Internet Archive) (englisch/Thai)
  3. Wenk
  4. Frank E. Reynolds, Mani B. Reynolds (Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen): Three worlds According To King Ruang. Berkeley 1982, ISBN 0-89581-153-7
  5. Wenk
  6. Wenk
  7. Wenk
  8. Wenk
  9. Thailand-interaktiv.de; nachzulesen in der Rubrik Literatur, veröffentlicht im Jahr 2001
  10. Chris Baker, Pasuk Phongpaichit (Hrsg.): The Tale of Khun Chang Khun Phaen. Siam’s Great Folk Epic of Love and War 2010. (Englische Übersetzung mit zahlreichen Annotationen), 2 Bände. Silkworm Books, Chiang Mai 2010.
  11. Ampha Otrakul (Übers.): ไกลบ้าน (Glai baan) – Fern von Zuhause. König Chulalongkorns Reisetagebuch 1907. Königlich Thailändische Botschaft, Berlin 2007, ISBN 978-974-9898-32-1
  12. Mahidol.ac.th (Memento vom 23. November 2002 im Internet Archive) (in engl.); nachzulesen in der Rubrik Literatur, veröffentlicht im Jahr 2002
  13. siamstamp.com - Century of Modern Thai Writters
  14. M. R. Kukrit Pramoj (Übers. Meredith Borthwick): Many Lives. Silkworm Books Chiang Mai 1999, ISBN 974-7100-67-3.