Ritula Fränkel

deutsche bildende Künstlerin

Ritula Fränkel (* 6. November 1952 in Darmstadt; † 14. Januar 2015 in Darmstadt) war eine deutsche Installationskünstlerin und bildende Künstlerin.

Sie wuchs mit ihrem jüngeren Bruder[1] in einer jüdischen Familie in Darmstadt auf. Ihre Eltern Johanna, geb. Hornung (1925–2018)[2] und der Ingenieur Josef Fränkel (1920–1994), beide Überlebende des KZ Groß-Rosen,[3] waren aktiv im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich wieder aufgebaut hatten.[4][5]

Nach Kindheit und Jugend in Darmstadt lebte Ritula Fränkel 22 Jahre in Jamaika. Sie war verheiratet mit Nicholas Morris (* 1967 in Kingston, Jamaika), einem Künstler und Absolventen des Dartmouth College (BA), Duncan of Jordanstone College of Art/University of Dundee in Schottland („Postgraduate Diploma in Visual Art“) und der Stanford University (M.F.A.). Von 1995 bis 2001 lehrte er Malerei und Installation am Edna Manley College of Visual and Performing Arts in Kingston.[6] 2001 ließ sich das Paar in Darmstadt nieder. In Folge schufen sie neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit, Workshops mit Schülern zur jüdischen Geschichte, Vortrags- und Lehrtätigkeit[7][8] gemeinsame Installationen und Kunstprojekte, wie das „Denkzeichen Güterbahnhof“.[4] Gefördert durch das Moldaustipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst arbeiteten sie 2005/2006 zusammen im Egon Schiele Art Centrum im tschechischen Český Krumlov.[6][9][10][11] 2008 bis 2009 entwickelten sie das künstlerisch-didaktische Konzept zum „Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt“.[4] 2013 widmeten sie sich der Einrichtung des jüdischen Museums Darmstadt.

Geprägt durch ihr jüdisches Elternhaus und den Bemühungen um einen Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde haben Ritula Fränkels Kunstinstallationen meist einen Bezug zur jüdischen Kultur und Geschichte. „Ihr Engagement für die Erinnerungskultur und für das jüdische Leben in Darmstadt war stets getragen von dem Wunsch der Verständigung und dem Anspruch des Lernens über historische Zusammenhänge“.[4]

Ritula Fränkel starb im Januar 2015 nach längerer Krankheit. Ihr Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Darmstadt-Bessungen.[12]

Ausstellungen und Werke im öffentlichen Raum

Bearbeiten

Für die Ausstellung X-ODUS schufen Ritula Fränkel und Nicholas Morris aus persönlichen Gegenständen, Fotos und Dokumenten sowie anhand der Erzählungen von Überlebenden der Schoa „ein visuelles Erinnerungstagebuch in vier Kapiteln: Überleben, Wiederleben, Weiterleben, Neues Leben“.[13] Ergänzend zeigt ein interaktives Würfelpuzzle Berliner Synagogen um 1885, ihren Zustand nach dem Krieg und das Richtfest der Neuen Synagoge Oranienburger Straße 1990. Die Ausstellung wurde 2001/2002 in der Darmstädter Synagoge und der ehemaligen Synagoge Pfungstadt gezeigt sowie 2004 im Jüdischen Museum Berlin.[4][13]

Josefs Mantel

Bearbeiten

Das Werk Josefs Mantel des Künstlerpaars aus dem Jahr 2001 ist Teil der Dauerausstellung im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, Themenabschnitt „Wiederaufbau eines geteilten Kontinents“.[14]

Denkzeichen Güterbahnhof

Bearbeiten
 
 

2004 übernahm sie gemeinsam mit ihrem Mann die künstlerische Gestaltung und Umsetzung des „Denkzeichen Güterbahnhof“ auf dem der Deutsche Bahn AG gehörenden Gelände am Güterbahnhof Darmstadt Ecke Bismarckstraße/Kirschenallee. Der öffentliche Gedenkort erinnert an die mehr als 3000 Juden, Sinti und Roma, die vom ehemaligen Güterbahnhof Darmstadt mit Viehwagen in Konzentrationslager deportiert und Opfer des Holocaust wurden. Für ein Mahnmal am Ausgangsort der Deportation hatte sich seit 2002 die „Initiative Denkzeichen Güterbahnhof“ bemüht. Auf einem Stück Gleise, die mit Schotter ausgefüllt sind, und an einem verrosteten Prellbock enden, steht ein 800 Kilogramm schwerer Glaskubus aus Panzerglas mit jeweils 150 cm Seitenlänge. Damit der Kubus von innen nicht beschlägt, entwickelten die Künstler mit der ausführenden Glasbaufirma Derix aus Taunusstein eine Konstruktion, die das Denkzeichen von unten belüftet und entfeuchtet. Im Inneren befinden sich gravierte Glasscherben, bestehend aus absichtlich zerbrochenen Glasscheiben, die zuvor mit Hunderten Namen von 1942 und 1943 aus Darmstadt und dem ehemaligen Volksstaat Hessen deportierten Juden und Sinti beschriftet wurden.[6][15] 2006 wurde der Kubus stark beschädigt und musste 2012/2013 komplett erneuert werden. 2013 wurde eine Seite des Glaswürfels durch Vandalismus in Mitleidenschaft gezogen, die Spuren dem Wunsch der Künstler folgend aber nicht beseitigt.[16] Wegen Bauarbeiten an der Bismarckstraße wurde das Mahnmal 2014 auf das Gelände der Jüdischen Gemeinde Darmstadt an der Wilhelm-Glässing-Straße versetzt. 2017 konnte es wieder an seinem ursprünglichen Standort aufgestellt werden.[4][17][18]

Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt

Bearbeiten
 

Nachdem im Oktober 2003 bei Aushubarbeiten für einen Neubau im Städtischen Klinikum Überreste der während der Novemberpogrome 1938 niedergebrannten Liberalen Synagoge entdeckt worden waren, berief der Magistrat der Stadt Darmstadt einen Runden Tisch zur Konzeption einer Gedenkstätte im Innern des geplanten Krankenhausbaus ein. Darauf aufbauend entwickelten Ritula Fränkel und Nicolas Morris ab 2006 im Auftrag der Stadt Darmstadt die konzeptionelle und didaktische Gestaltung. Sie umfasst einen multimedialen Erinnerungs-Parcours aus zehn Stationen, in den Boden eingelassene Zitate, eine großformatige historische Ansicht der Synagoge als transparenter Fotoaufdruck auf der Fensterfront, Infoterminal, Hör- und Filmstationen mit Zeitzeugeninterviews, Bildschirme, Videoleinwände sowie Installationen mit historischen Texten, Bildern und Fundstücken.[19][20] Am 9. November 2009 wurde der Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt offiziell eingeweiht.[4][21][22]

Museum der jüdischen Gemeinde Darmstadt

Bearbeiten

2013 wurde das Museum der jüdischen Gemeinde Darmstadt neu eröffnet. Ritula Fränkel gestaltete dazu innerhalb von zwei Jahren den 1991 in der ersten Etage des Gemeindehauses eingerichteten Schauraum zu einem interaktiven Lernort um, in dem alle Exponate angefasst werden dürfen.[23] "Sie verstand das Museum auch als Lernort, an dem die Geschichte der Juden in Darmstadt kennen gelernt werden kann, um jüdisches Leben nicht aus der Perspektive der „Opfersicht“ zu sehen und um Alltagsleben und jüdisches kulturelles Leben zu vermitteln."[4] Das Museum zeigt nach dem Krieg im Darmstädter Schloss gefundene Dokumente und Kultgegenstände, eine faksimilierte Kopie der spätmittelalterlichen Darmstädter Haggadah aus dem Jahr 1430, die in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt aufbewahrt wird, den Tora-Schrank aus dem ersten Bethaus nach dem Holocaust in der Osannstraße sowie Erinnerungsstücke, Fotos und Dokumente.[24] 2015 kam ein vom Künstlerpaar konzipierter Medientisch mit zwei großen Touchscreens hinzu, der Informationen, Fotos und Animationen über jüdische Biografien, jüdisches Leben in Darmstadt und der Region enthält.[25]

Veröffentlichungen

Bearbeiten
  • Ritula Fränkel, Nicholas Morris: X-odus : Installation im Jüdischen Gemeindezentrum Darmstadt, 10. Juni-24. Juli 2001. Jüdisches Gemeindezentrum Darmstadt, 2001
  • Ritula Fränkel, Nicholas Morris: Das künstlerische Konzept zum „Denkzeichen Güterbahnhof“. In: Renate Dreesen, Christoph Jetter: Darmstadt als Deportationsort: Denkzeichen Güterbahnhof : zur Erinnerung an die unter dem Nazi-Regime aus dem ehemaligen Volksstaat Hessen deportierten Juden und Sinti. Initiative "Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt", 2004
Bearbeiten
Commons: Ritula Fränkel – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: Jüdische Gemeinde. Abgerufen am 30. September 2017
  2. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: She’erit Haplejta siehe die Zuzugsgenehmigung für Johanna Fränkel zum Studium nach Darmstadt
  3. Fränkel, Josef. Hessische Biografie. (Stand: 8. Juni 2017). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
  4. a b c d e f g h Pressestelle der Stadt Darmstadt: Zum Tod von Ritula Fränkel. In: darmstadtnews.de vom 16. Januar 2015. Abgerufen am 15. Juli 2020
  5. Astrid Ludwig: Trauer um Johanna Fränkel. In: Jüdische Allgemeine vom 9. April 2018. Abgerufen am 19. Januar 2018
  6. a b c Nicholas Morris: Randnotizen: Notes from the edge. In: Open Arts Journal, Ausgabe 5, Juli 2016
  7. Nicholas Morris bei der Konferenz Sustainable Art Communities: Creativity and Policy in the Transnational Caribbean im Tropenmuseum Amsterdam, Februar 2013. Abgerufen am 14. Juli 2020
  8. HLZ - Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung: Fortbildung: Sinti und Roma. 58. Jahr, Heft 11/12, Nov./Dez. 2005, S. 37
  9. Egon Schiele Art Centrum: Künstler. Abgerufen am 9. Juli 2023
  10. Informationen zur Ausstellung in der Synagoge (Český Krumlov), September 2005
  11. Egon Schiele Art Centrum Český Krumlov: Symposion zum Thema: Český Krumlov nach der Grenzöffnung - Erinnerungen an Serge Sabarsky (1912-1996), Februar 2006. Abgerufen am 14. Juli 2020
  12. Echo online: Traueranzeigen Ritula Fränkel. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  13. a b Jüdisches Museum Berlin: X-ODUS aufbrechen – verweilen – bleiben, Ausstellung Mai – August 2004
  14. Haus der europäischen Geschichte: Themenabschnitt „Wiederaufbau eines geteilten Kontinents“, Dauerausstellung
  15. Astrid Ludwig: "Denkzeichen Güterbahnhof" in Darmstadt 600 zersplitterte Namen von Juden, Sinti und Roma. In: Materialdienst Nr.5, 06/2004, Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
  16. Echo online: Das erneuerte Darmstädter „Denkzeichen Güterbahnhof“ kehrt an seinen Standort an der Kirschenallee zurück, vom 24. Februar 2017. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  17. Frankfurter Rundschau: Mahnmal wieder zurückgekehrt, vom 27. Februar 2017. Abgerufen am 3. Oktober 2017
  18. Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen (LAG): Denkzeichen Güterbahnhof Darmstadt. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  19. Frankfurter Rundschau: Gedenkstätte wird nicht fertig, vom 28. Oktober 2008. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  20. Frankfurter Rundschau: Geschichte erleben, vom 29. Februar 2008, 64. Jahrgang, Nr. 51
  21. Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V.: Geschichte der Liberalen Synagoge Darmstadt (Memento des Originals vom 14. Juli 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.liberale-synagoge-darmstadt.de. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  22. P-Stadtkulturmagazin: besonders … Liberale Synagoge Ausgabe 13, April 2009
  23. Frankfurter Rundschau: Zurück im Leben, vom 2. Februar 2013. Abgerufen am 4. Oktober 2017
  24. Marc Mandel: Ein Koffer voller Geschichten. In: Jüdische Allgemeine vom 7. Februar 2013. Abgerufen am 14. Juli 2020
  25. Astrid Ludwig: Digitale Erinnerung. In: Jüdische Allgemeine vom 23. Juli 2015. Abgerufen am 14. Juli 2020