Reich (Biologie)

Rangstufe der biologischen Systematik

Das Reich (Regnum, englisch kingdom) ist eine Rangstufe innerhalb des Systems der Lebewesen. Es ist nach der Domäne (bzw. dem Realm bei Viren) die zweithöchste Rangstufe, sie gilt aber nur innerhalb der Eukaryoten und Viren. Innerhalb der Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) wird traditionell nicht in Reiche eingeteilt, sondern in die nächstniedrigere Rangordnung, den Stamm (Phylum), es wurden hier aber inzwischen verschiedene „Überstämme“ (Superphyla) vorgeschlagen.[1] In der Botanik ist die nächstniedrigere Rangstufe die Abteilung (Division).

LebewesenDomäne (Biologie)Reich (Biologie)Stamm (Biologie)Klasse (Biologie)Ordnung (Biologie)Familie (Biologie)Gattung (Biologie)Art (Biologie)

Rangstufen innerhalb des Systems der Lebewesen (ohne Zwischenstufen)

Das Reich kann noch in Unterreiche (Subregna), und diese wiederum in Infrareiche (Infraregna) untergliedert werden.[2]

Geschichte

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Das Reich war lange Zeit die höchste Rangstufe der Lebewesen.

  • Ursprünglich wurde in der Taxonomie nur zwischen Tieren (Animalia) und Pflanzen (Plantae) unterschieden. (2 Reiche, Carl von Linné, 1735)
  • Später kamen einzellige Organismen unter dem Namen Protisten (Protista) dazu. (3 Reiche, Ernst Haeckel, 1866)
  • Danach trennte man die Pilze (Fungi) von den Pflanzen.
  • Schließlich wurde Mitte des 20. Jahrhunderts eine fundamentale Unterscheidung zwischen einzelligen Lebewesen mit Zellkern, Eukaryoten (Eukaryota) und solchen ohne Zellkern, Prokaryoten (Prokaryota syn. Monera) eingeführt. (2 Imperien oder Superreiche – engl. empires/superkingdoms mit insgesamt 5 Reichen, Robert Whittaker, 1969). Eine Variante davon beinhaltet die umfassenderen und die Grünalgen einschließenden Protoctisten anstelle der Protisten (Lynn Margulis, 1980er Jahre).[3]
  • Nach genaueren molekulargenetischen Untersuchungen bekamen die Archaeen (Archaea) ein eigenes Reich (6 Reiche, Carl Woese, 1977).
  • Die Protisten/Protoctisten wurden nochmals differenziert in Stramenopile (oder Chromisten) und Protozoen (Bakterien und Archaeen wurden ursprünglich nicht unterschieden, daher 6 Reiche, Thomas Cavalier-Smith, 1998 – dies wurde in einer Revision von Ruggiero, Cavalier-Smith et al. 2015 nachgeholt,[4] damit 7 Reiche).
  • Durch weitere Untersuchungen der Nukleinsäuren kam man in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer neuen Einteilung, wobei man die Domäne als höchste Kategorie einführte, um den fundamentalen Unterschied zwischen Archaebakterien (nun Archaeen (Archaea) genannt) und Eubakterien (nun schlicht als Bakterien (Bacteria) bezeichnet) auch taxonomisch zu dokumentieren (3 Domänen, Carl Woese et al., 1990). Die geschichtliche Entwicklung des Domänen-Konzepts ist ausführlich dargestellt bei Jan Sapp.[5]
  • Die herkömmliche Einteilung der Domänen der Bakterien und Archäen direkt in Phylum (Stämme) unter Auslassung der dazwischenliegenden Rangstufen (insbesondere Reich) ist noch ein Erbe aus der Zeit, als beide gemeinsam zu einem Reich zusammengefasst wurden. Metagenomanalysen zeigen aber die hohe Diversität in diesen beiden Domänen, so dass für beide inzwischen etliche Vorschläge für Supergruppen wie Superphyla, Infrareiche und Reiche vorliegen.
  • Sollte sich herausstellen, dass die Eukaryoten nicht schon sehr früh von Vorfahren der Archaeen abzweigen, sondern (vermutlich unter Aufnahme von Alphaproteobakterien als Endosymbionten) sich erst später aus einem Zweig derselben (etwa im Umfeld der Asgardarchaeota) hervorgegangen sind, wäre die Domäne der Archaeen paraphyletisch. Die Situation erinnert – von der Endosymbiose abgesehen – an den Ursprung der Vögel aus den Dinosauriern. Eine Möglichkeit, Monophylie wiederherzustellen, wäre dann, die Eukaryoten in die Archaeen zu integrieren (vgl. Neomura, Thomas Cavalier-Smith, 2002).[6]
Tabellarischer Vergleich verschiedener vorgeschlagener Taxonomien
Haeckel Whittaker Woese et al. Cavalier-Smith Ruggiero et al.
(1866)[7]

Drei Reiche
(1969)[8]

Fünf Reiche
(1977)[9][10]

Sechs Reiche
(1990)[11]
Drei Domänen
(1998)[12]
Zwei Domänen
und sechs Reiche
(2015)[4]
Drei Domänen
und sieben Reiche
Animalia Animalia Animalia Eucarya Eukaryota Animalia Eukaryota Animalia
Plantae Fungi Fungi Fungi Fungi
Plantae Plantae Plantae Plantae
Protista Protista
(Eukaryota)
Protista
(Eukaryota)
Chromista Chromista
Protozoaveraltet Protozoaveraltet
Monera
(Prokaryota)
Archaebacteria Archaea Prokaryota Bacteria Archaea
Eubacteria Bacteria Bacteria

Sonderstatus der Viren

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Virus-Taxonomie
ICTV
(Juni 2022)[13]
Sechs Realms (+ weitere Taxa incertae sedis),
insges. elf Reiche
Adnaviria Zilligvirae
Duplodnaviria Heunggongvirae
Monodnaviria Loebvirae
Sangervirae
Shotokuvirae
Trapavirae
Riboviria Orthornavirae Pararnavirae
Ribozyviria Kolmioviridae
Varidnaviria Bamfordvirae Helvetiavirae
incertae sedis 1 Klasse, 19 Familien, 2 Gattungen

Man ist sich weitgehend einig, dass Viren nicht zu den Lebewesen zählen, man sie aber als „dem Leben nahestehend“ betrachten kann. Sie haben keinen eigenen Stoffwechsel und können sich nicht selbständig fortpflanzen, sondern brauchen dazu einen Wirt. Das gilt erst recht für Satellitenviren, die für ihre Fortpflanzung zusätzlich zur Wirtszelle noch ein Helfervirus benötigen. Auch Viriforme und Viroide werden nicht zu den Lebewesen gezählt. Viren inklusive Satellitenviren, Viriforme, Viroide sowie künftig evtl. auch Prionen unterliegen einer eigenen Taxonomie. Die Namensendungen bei Viren sind -virae bei Reichen und -virites bei Unterreichen. Da nicht davon auszugehen ist, dass Viren insgesamt einen gemeinsamen Vorfahren haben, fasst man die Verwandtschaftsbereiche jeweils zu (mit Stand September 2023) sechs Realms (englisch realms) zusammen (die in Subrealms, en. subrealms, unterteilt sein können – derzeit nicht realisiert). Unter diesen folgt direkt die Rangstufe der Reiche (Domänen gibt es nicht).

Aussicht

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Neben der klassisch evolutionären Klassifikation (aus der der Begriff Reich kommt), existieren heute drei weitere Taxonomie-Konzepte: die numerische Taxonomie, die Kladistik und die Taxonomie aufgrund von DNA-Basensequenzen. Nicht immer können die traditionell gebräuchlichen Einteilungseinheiten in eine moderne Systematik übernommen werden.

Eukaryoten

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Das als anerkannt geltende System von Adl et al. 2005 (neueste Ausgabe 2019) für Eukaryoten basiert vornehmlich auf phylogenetischen Untersuchungen (Kladistik) und ist entsprechend aufgebaut. Es enthält keine Kategoriebezeichnungen der verschiedenen Taxa und benennt auf gleicher Ranghöhe Organismengruppen, die entsprechend der klassischen Systematik auf unterschiedlichen taxonomischen Ebenen angesiedelt werden. Dabei hat sich eine neuere Gruppierung durchgesetzt, die die klassischen Reiche der Tiere, Pilze und Pflanzen ihren jeweiligen verwandten Gruppen innerhalb der früheren Protisten zuordnet. Sie werden meist als supergroups[14] (Supergruppen) bezeichnet. Streng genommen gehört sie damit nicht zur Taxonomie, da sie den Rang „Reich“ überspringt. Die sechs Taxa sind:[15]

Prokaryoten

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Für zwei weitere Supergruppen wird die Einteilung der Domänen von Woese, Kandler und Wheelis (1990)[11] bevorzugt:

Als Referenz für die klassische Taxonomie dieser beiden Domänen gilt die List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN),[16] für die Taxonomie aufgrund von DNA-Basensequenzen ist dies die Genome Taxonomy Database (GTDB).[17]

Siehe auch

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Wiktionary: Reich – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Beispiele: DPANN und Proteoarchaeota bei Archaeen; Planctobacteria (alias PVC: Planctomycetes, Verrucomicrobia und Chlamydiae) und Patescibacteria (alias CPR, Candidate phyla radiation) bei Bakterien
  2. Mineralienatlas: Fossilienatlas: Abietoideae
  3. Lynn Margulis, Karlene V. Schwartz: Die fünf Reiche der Organismen — ein Leitfaden. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg, 1989, ISBN 3-89330-694-3. Originaltitel der en. Ausgabe: Five Kingdoms. Freeman & Co., New York/Oxford 182/1988.
  4. a b Michael A. Ruggiero, Dennis P. Gordon, Thomas M. Orrell, Nicolas Bailly, Thierry Bourgoin, Richard C. Brusca, Thomas Cavalier-Smith, Michael D. Guiry, Paul M. Kirk, Erik V. Thuesen: A higher level classification of all living organisms. In: PLOS ONE. 10. Jahrgang, Nr. 4, 2015, S. e0119248, doi:10.1371/journal.pone.0119248, PMID 25923521, PMC 4418965 (freier Volltext), bibcode:2015PLoSO..1019248R.
  5. Jan Sapp: The New Foundations of Evolution: On the Tree of Life. Oxford University Press, New York 2009, ISBN 978-0-19-973438-2, S. 448 (google.de).
  6. T. Cavalier-Smith: The phagotrophic origin of eukaryotes and phylogenetic classification of Protozoa. In: International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology. Band 52, Pt 2, März 2002, ISSN 1466-5026, S. 297–354, doi:10.1099/00207713-52-2-297, PMID 11931142.
  7. E. Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen. Reimer, Berlin 1866.
  8. R. H. Whittaker: New concepts of kingdoms of organisms. In: Science, Band 163, 1969, S. 150–160 doi:10.1126/science.163.3863.150
  9. W. E. Balch, L. J. Magrum, G. E. Fox, C. R. Wolfe, C. R. Woese: An ancient divergence among the bacteria. In: Journal of Molecular Evolution. Band 9, Nr. 4, 1977, S. 305–311. doi:10.1007/BF01796092, PMID 408502
  10. Carl R. Woese, G. E. Fox: (November 1977). Phylogenetic structure of the prokaryotic domain: the primary kingdoms. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 74, Nr. 11, 1977, S. 5088–90. doi:10.1073/pnas.74.11.5088. PMC 432104 (freier Volltext). PMID 270744.
  11. a b Carl R. Woese, Otto Kandler, Mark L. Wheelis: Towards a natural system of organisms: Proposal for the domains Archaea, Bacteria, and Eucarya. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 87 Nr. 12 (1990), S. 4576–4579. doi:10.1073/pnas.87.12.4576. PMC 54159 (freier Volltext). PMID 2112744.
  12. Thomas Cavalier-Smith: A revised six-kingdom system of life. In: Biological Reviews. Band 73, 1998, S. 203–266. doi:10.1111/j.1469-185X.1998.tb00030.x
  13. ICTV: ICTV Master Species List 2021.v2, New MSL including some corrections.
  14. Laura Wegener Parfrey, Erika Barbero, Elyse Lasser, Micah Dunthorn, Debashish Bhattacharya, David J. Patterson, Laura A. Katz (2006): Evaluating Support for the Current Classification of Eukaryotic Diversity. In: PLoS Genetics. Band 2, Nr. 12, 2006, S. e220. doi:10.1371/journal.pgen.0020220
  15. Sina M. Adl et al.: The New Higher Level Classification of Eukaryotes with Emphasis on the Taxonomy of Protists. In: The Journal of Eukaryotic Microbiology. Band 52, Nr. 5, 2005, S. 399–451. PMID 16248873 doi:10.1111/j.1550-7408.2005.00053.x
  16. LPSN: Startseite.
  17. GTDB: Tree.