Moralische Wochenschrift

Zeitschriften der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Bezug auf die Aufklärung

Moralische Wochenschriften sind ein Typ von Zeitschriften, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Umlauf war, den Zeitschriftenmarkt damals beherrschte und wesentlich zur Verbreitung der Ideen der Aufklärung beigetragen hat.

Anliegen und Inhalte

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Die moralischen Wochenschriften sollten neben der Information und Belehrung des Publikums zusätzlich auch zur Meinungsbildung und Verbreitung aufklärerischer Wertvorstellungen beitragen. Die Herausgeber suchten, das Publikum anstelle der unreflektierten Übernahme von Gedankengut tradierter Autoritäten, zu rational begründeten Urteilen zu bewegen. So wurden die moralischen Wochenschriften ein wichtiges Sprachrohr aufklärerischer Bemühungen und erhöhten die moralische Urteilsfähigkeit der Leserschaft.

In ihnen wurde propagiert, dass es nicht nur wichtig sei, ein guter Christ zu sein, sondern sich auch in der Gesellschaft zu engagieren. Die Zeitschriften waren für eine breite und bürgerliche Leserschicht (Gelehrte, Theologen, Ärzte, Kaufleute, Wissenschaftler, Juristen und so weiter), sowie für Frauen konzipiert. Neben der Information und Erziehung sollten sie auch der Unterhaltung dienen.

Unter Moral wurde Tugendhaftigkeit, Ethik, Sinn und Sittsamkeit (Sittenlehre) verstanden.

Themen waren neben der Politik die Familie, Erziehung zur Sittlichkeit, Toleranz, Tugendhaftigkeit und zur Moral, das Zusammenleben in der Gesellschaft und am Hof und die Kritik an diesem. Der Hof und der Adel wurden verspottet, aber eine neue Staatsform oder Gesellschaftsform wurde nicht propagiert. Der Mensch sollte vernunftgeleitet handeln: Tugend und Vernunft hatten den höchsten Stellenwert, dagegen wurde irrationaler Aberglaube der Verachtung preisgegeben.

Die moralischen Wochenschriften richteten sich an ein gebildetes bürgerliches Publikum. Inhaltlich ging es in den Schriften oft auch um eine Kritik an Kultur und Lebensstil der Aristokratie: Typische Angriffsobjekte der meist satirisch vorgetragenen Kritik waren etwa der konservative Schulmeister, der lebensfremde Gelehrte oder der dünkelhafte Adlige.

Aufklärerische Anschauungen wurden in einer Vielzahl unterschiedlicher Textformen präsentiert, unter anderem fingierte Gespräche, Briefe, Fabeln, Lieder und Geschichten. Oft bedienten sich die Herausgeber fiktiver Verfasserfiguren, denen die Meinungsäußerungen und Erfahrungsberichte in den Mund gelegt wurden: So plauderten in Die vernünftigen Tadlerinnen die bürgerlichen Damen Phyllis, Calliste und Iris als angebliche Verfasserinnen in der Ich-Form; in Der Biedermann stellte der angebliche Verfasser Ernst Wahrlieb Biedermann moralische Betrachtungen an. Die Titel der Publikationen waren meist sehr ausgefallen und originell („Der Greis“, „Der Trotzkopf“, „Der Zerstreuer“, „Der Vernünfftler“). Die Titel wiesen ebenfalls fälschlicherweise auf schreibende Individuen hin.

Die Leser wurden zum Teil zur Einsendung eigener Beiträge und Leserbriefe ermutigt. Daraus entstand eine neue literarische Öffentlichkeit, in der die Bürger sich über moralische und weltanschauliche Fragen äußern konnten. In nicht unerheblichem Maß wurden aber auch fiktive Leserbriefe veröffentlicht, in denen die vorgeblichen Leser ihre Begeisterung über die Wochenschriften artikulierten, vor allem aber betonten, die aufklärerischen Inhalte tatsächlich nur auf allgemeine Lebensfragen – nicht aber auf aktuelle politische oder religiöse Fragen zu beziehen. Der Sinn dieser Beschränkungformeln dürfte, neben der Eigenwerbung, maßgeblich im vorbeugenden Schutz vor Zensurmaßnahmen bestanden haben. Trotzdem gab es tatsächlich enge Leserbindungen an das jeweilige Blatt und damit feste Leserkreise.

Die Wochenschriften erschienen zumeist einmal wöchentlich, einige Titel auch zweimal in der Woche oder nur alle 14 Tage. Da sie – wie erwähnt – nie hochaktuelle Themen oder Ereignisse behandelten, sondern grundsätzliche politische und religiöse Themen, konnten sie ohne weiteres später wieder aufgelegt werden.

Entstehungsgeschichte

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The Spectator, Titelseite von 1711

Die in Deutschland erschienenen moralischen Wochenschriften entstanden Anfang des 18. Jahrhunderts in Anlehnung an Vorbilder aus England, die von Joseph Addison, der Verfasser, und Richard Steele, der Herausgeber, herausgegebenen moral weeklies:

Auch in Frankreich gab es einen Vorreiter dieser neuen Gattung, „Mercure Galant“. Zunächst wurden diese Originale als Übersetzungen und Nachahmungen in Deutschland herausgegeben: Hier ist vor allem die frühe Wochenschrift Der Vernünftler. Teutscher Auszug aus den Engelländischen Moral-Schriften Des Tatler Und Spectator zu nennen, die von Johann Mattheson herausgegeben wurde und 1713 bis 1714 erschien.

Neben englischen Vorbildern gab es aber auch in Deutschland frühe Ansätze von kritischen Wochen- und Monatsschriften, die sich an ein bürgerliches Publikum wandten.

Dazu zählen vor allem die von Christian Thomasius in Leipzig herausgegebenen Monats-Gespräche[1] (erschienen 1688 bis 1690), mit denen erfolgreich die deutsche Sprache als Mediensprache etabliert wurde und in denen ein unterhaltsamer, ironischer bis satirischer Sprachstil gepflegt wurde, der im Gegensatz zu den bis dahin vorherrschenden gelehrten Abhandlungen der Barockzeit stand. Ein weiterer Vertreter der neuen frühaufklärerischen Literaturtradition waren die von Johann Frisch herausgebrachten Erbauliche Ruhstunden, die bereits seit 1676 wöchentlich in Hamburg erschienen. Es waren Zeitschriften von belehrendem und zugleich unterhaltendem Charakter.

Die deutschen Moralischen Wochenschriften können daher als eine Synthese aus den englischen moral weeklies und neuen Tendenzen im deutschsprachigen Journalismus angesehen werden.

Viele deutsche Gelehrte und Literaten waren Autoren von Moralischen Wochenschriften, darunter Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Gottlieb Klopstock.

In Deutschland gab es wohl über 500 Moralische Wochenschriften, in England, dem Ursprungsland, circa 200. Jedoch existierten viele von ihnen nur einige Monate oder ein Jahr. Zentren in Deutschland waren Hamburg und Leipzig.

Aus dem Vorbild der Moralischen Wochenschriften entstanden die ersten Frauenzeitschriften, wie zum Beispiel „Die vernünftigen Tadlerinnen“ (1725–1726), herausgegeben von Johann Christoph Gottsched, sie wurden später noch mehrmals aufgelegt.

Bedeutende deutschsprachige Zeitschriftentitel

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Die Discourse der Mahlern, Titelseite der Buchausgabe von 1721
 
Der Biedermann, Titelseite vom 19. April 1728

Siehe auch

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Literatur

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  • Holger Böning, Michael Nagel, Johannes Weber (Hrsg.): Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel. Edition Lumière, Bremen 2002.
  • Helga Brandes: Moralische Wochenschriften. In: Ernst Fischer, Wilhelm Haefs, York-Gothart Mix (Hrsg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800. Beck, München 1999, ISBN 3406454763.
  • Klaus-Dieter Ertler: Moralische Wochenschriften in Spanien: 'El Pensador' von José Clavijo y Fajardo. Tübingen: Gunter Narr Verlag, ISBN 3823360191
  • Klaus-Dieter Ertler: Moralische Wochenschriften, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2012, Zugriff am: 29. Februar 2012.
  • Elke Maar: Bildung durch Unterhaltung. Die Entdeckung des Infotainment in der Aufklärung. Hallenser und Wiener Moralische Wochenschriften in der Blütezeit des Moraljournalismus 1748–1782. Centaurus, Pfaffenweiler 1995.
  • Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Metzler, Stuttgart 1971.
  • Ernst Milberg: Die deutschen moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts. Klinkicht Meissen 1880.
  • Rudolf Stöber: Deutsche Pressegeschichte. UVK, Konstanz 2005, ISBN 3825227162.
  • Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2000.
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Einzelnachweise

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  1. Inhaltserschließung der Monats-Gespräche – Projekt Gelehrte Journale (GJZ 18) der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen