Die Narrenburg

Erzählung von Adalbert Stifter

Die Narrenburg ist eine Erzählung von Adalbert Stifter. Sie erschien im Erstdruck 1842 in „Iris. Taschenbuch für das Jahr 1843“ in der so genannten Journalfassung. 1844 wurde bei Gustav Heckenast in Pest die von Stifter leicht überarbeitete so genannte Buchfassung als Teil des Erzählungszyklus „Studien“ veröffentlicht. Die Narrenburg gehört damit zu den frühen Werken Stifters.

Nach Plänen Stifters sollte die Erzählung ursprünglich nur den ersten Teil einer größeren Reihe von thematisch zusammenhängenden Erzählungen bilden. Tatsächlich existieren aber nur zwei weitere Werke Stifters, die an die Handlung der Narrenburg anknüpfen, nämlich die dritte, 1847 veröffentlichte Fassung von „Aus der Mappe meines Urgroßvaters“ und die Erzählung „Prokopus“ aus dem Jahr 1848.

Handlung

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Im Mittelpunkt der Erzählung steht die gräfliche Familie Scharnast und deren Familiensitz – die zur Ruine verfallene Burg Rothenstein, welche im Volksmund „die Narrenburg“ genannt wird. Nach dem Tod des letzten Vertreters der Hauptlinie der Scharnasts, Christoph, ist der Rothenstein verwaist. Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass der Naturforscher Heinrich, der die Gegend eigentlich nur aufsucht, um dort naturkundliche Studien zu betreiben, der rechtmäßige Erbe des Rothensteins ist. Bevor Heinrich sein Erbe antritt, heiratet er die bürgerliche Tochter eines Gastwirts, Anna. Beide ziehen auf den wiederaufgebauten Rothenstein und gründen eine Familie, so dass die Familientradition der schon ausgestorben geglaubten Scharnasts fortgesetzt werden kann.

Eingewoben in diese Handlung ist eine Binnenerzählung, in der der Leser erfährt, wie es zur Ruinierung des Rothensteins kam: Es beginnt mit Christophs Großvater Julianus, der seinen Bruder um das ihm zustehende Erbe betrügt und einen Großteil des Familienvermögens verschwendet. Dessen Sohn, Jodok, setzt das zerstörerische Werk seines Vaters fort. Er beginnt mit der physischen Verwüstung der Burg, indem er nach einer gescheiterten Ehe und dem Selbstmord seines Bruders Gebäude niederbrennt und das Burgareal verlässt, um am Fuße des Burgberges in einem kleinen Haus zu leben. Jodoks Sohn, Christoph, vollendet den Niedergang. Er lässt den Rothenstein zumauern und schließt sich heidnischen Truppen an, die gegen das Christentum kämpfen. Er wird im Krieg erschossen, wodurch die Familientradition auf dem Rothenstein vorläufig beendet ist.

Interpretation

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Die Narrenburg wird in erster Linie als ein Plädoyer Stifters für den Wert der Familie interpretiert. Die Berufung des Menschen ist es für Stifter, eine gute, verantwortungsvolle Ehe zu führen, Kinder zu haben und seine Familie zu schützen. Tut er es, bewahrt er nicht nur die Familientradition, sondern auch die gesamte historische Tradition. Geht er mit seiner Familie verantwortungslos um, so wie es die närrischen Scharnasts getan haben, führt dies nicht nur zu einer Beschädigung der Familie, sondern zu einem viel ausgedehnteren Schaden in der historisch-kulturellen Tradition der Menschheit. Beide Schäden werden von der zeitweilig zur Ruine verfallenen Burg Rothenstein versinnbildlicht. Behoben werden kann dieser durch eine närrische Abkehr von der Familie ausgelöste Schaden aber durch die gute, glückliche und kinderreiche Ehe Heinrichs mit der bürgerlichen Anna. Durch diese Rettung der Scharnasts mit Hilfe einer Heirat weit unter Stand kann Die Narrenburg darüber hinaus auch politisch interpretiert werden. Offensichtlich ist der Adel allein nicht mehr in der Lage, die Familie und die historisch-kulturelle Tradition der Menschheit zu bewahren, sondern bedarf der Auffrischung durch die Einheirat Bürgerlicher.

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Literatur

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  • Bertram, Ernst: Studien zu Adalbert Stifters Novellentechnik, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1978.
  • Böcher, Otto: Majorat und Narrenburg. Ein genealogischer Versuch zu E.T.A Hoffmann und Adalbert Stifter, in: Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.): Der Herold. Vierteljahresschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Band 12, 30. Jahrgang 1987, Heft 1, Januar – März, Selbstverlag, Berlin 1987, S. 7 bis S. 12.
  • Enklaar-Lagendijk, Jannetje: Adalbert Stifter. Landschaft und Raum, Repro-Holland B. V., Alphen aan den Rijn 1984.
  • Irmscher, Hans Dietrich: Adalbert Stifter. Wirklichkeitserfahrung und gegenständliche Darstellung, Wilhelm Fink Verlag, München 1971.
  • Märki, Peter: Adalbert Stifter. Narrheit und Erzählstruktur, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1979.
  • Matz, Wolfgang: Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge. Biographie, Carl Hanser Verlag, München und Wien 1995.
  • Schröder, Hans: Der Raum als Einbildungskraft des Dichters bei Stifter, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1985.
  • Weigel, Sigrid: Zur Dialektik von Geschlecht und Generation um 1800. Stifters Narrenburg als Schauplatz von Umbrüchen im genealogischen Denken, in: Weigel, Sigrid / Parenes, Ohad / Vedder, Ulrike / Willer, Stefan (Hrsg.): Generation. Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte der Genealogie, Wilhelm Fink Verlag, München 2005, S. 109 – S. 124.