Chitosan

organische Verbindung, Naturstoff, Biopolymer

Chitosan (griech. χιτών „Unterkleid, Hülle, Panzer“), auch Poliglusam oder Poly-D-Glucosamin oder Polyglucosamin, ist ein natürlich vorkommendes Biopolymer, das sich vom Chitin ableitet und wie dieses ein Polyaminosaccharid ist. Zur Herstellung von Chitosan wird Chitin deacetyliert. Erstmals wurde es 1859 von C. Rouget durch Kochen von Chitin mit Kalilauge gewonnen. Chitosan wird u. a. in der Rettungsmedizin zur Stillung von Blutungen eingesetzt. Viele weitere Anwendungen existieren oder sind in der Entwicklung.

Strukturformel
Strukturformel von 100 % deacetyliertem Chitosan
Allgemeines
Name Chitosan
Andere Namen
  • Poliglusam
  • Polyglucosamin
  • Poly-D-Glucosamin
  • Poly-(D)Glucosamin
  • Deacetylchitin
CAS-Nummer 9012-76-4
Monomer Glucosamin, teilweise auch N-Acetylglucosamin
Summenformel der Wiederholeinheit C6H11NO4
Molare Masse der Wiederholeinheit 161,15 g·mol−1
PubChem 21896651
Art des Polymers

Biopolymer

Kurzbeschreibung

hell-beige, lineares Polysaccharid,[1] ein Polyaminosaccharid

Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Lipidadsorber, Wundheilung, Bakteriostatikum[2]

Eigenschaften
Aggregatzustand

fest

Löslichkeit

nahezu unlöslich in Wasser (abhängig vom Molekulargewicht) bei pH > 6,4[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[4]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Schematische Darstellung der enzymatischen Synthese von Chitosan aus Chitin

Herkunft

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Gewinnung

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Chitin setzt sich aus β-1,4-glycosidisch verknüpften N-Acetylglucosaminresten (2-Acetamido-2-desoxy-β-D-glucopyranose-Resten) zusammen.

 
Die Hauptchitinquelle für die Herstellung von Chitosan sind Schalen von Garnelen wie Pandalus borealis.

Chitosan wird technisch aus Chitin durch Deacetylierung gewonnen[5], so dass das Molekül schließlich nur noch aus etwa 2000 linear miteinander verbundenen 2-Amino-2-desoxy-β-D-glucopyranose- bzw. Glucosamin-Monomeren besteht. Dies kann durch (heiße) Natronlauge oder enzymatisch erfolgen. Beide Prozesse werden technisch genutzt, mengenmäßig steht die alkalische Prozedur eindeutig im Vordergrund.

Der Grad der resultierenden Deacetylierung kann erheblich variieren: Die Deacetylierung kann vollständig oder teilweise erfolgen, woraus eine Verteilung stark deacetylierter neben wenig deacetylierten Bereichen oder eine homogene Deacetylierungsverteilung resultieren kann, was erhebliche Auswirkungen auf die Molekülgestalt hat. Gleichzeitig kann aufgrund dieses chemischen Eingriffes die Kettenlänge des Polymers abnehmen (Depolymerisation), wodurch die Löslichkeit verbessert und die Viskosität verringert wird. Außerdem können bei der Behandlung Fremdatome (z. B. Schwermetalle aus Natronlauge) eingebracht werden. Die Endprodukte können sich daher erheblich in ihren Eigenschaften unterscheiden. Am deutlichsten offenbaren sich diese Unterschiede in der Löslichkeit und Viskosität z. B. einer einprozentigen Chitosanlösung in Essigsäure.

Natürliches Vorkommen

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Einige Pilze enthalten neben Chitin auch Chitosan in ihrer Zellwand; aus ihnen kann Chitosan direkt gewonnen werden. Alle bekannten Arten wie z. B. Mucor rouxii, Absidia coerulea[6] und Rhizopus oryzae[7] gehören zur Ordnung der Mucorales.

Eigenschaften

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Chitosan ist ein farbloser, amorpher, zäher Stoff. Industriell hergestelltes, hochmolekulares Chitosan ist in verdünnten starken Säuren außer Schwefelsäure sowie in organischen Säuren löslich. Die Löslichkeit in Säuren und gleichzeitig schlechte Löslichkeit in neutralem oder alkalischem pH ist einzigartig unter den Biopolymeren und daher charakterisierend. Mit abnehmender molarer Masse ist aber auch Chitosan (oder Oligo-Glucosamin) in Wasser und sogar in Laugen löslich.

Auf Grund der durch die Deacetylierung entstandenen freien Aminogruppen ist es in nicht alkalischer Lösung ein Polykation mit einer hohen Ladungsdichte. Es ist ungiftig, antibakteriell, antiviral und antiallergen. Die LD50 von Chitosan liegt bei 16 g/kg Körpermasse.

Fettbindung

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Die Fettbindung durch Chitosan lässt sich im Labor gut nachweisen. Mehrere Patente und Laborversuchsbeschreibungen haben dies zum Thema, daneben stehen mehr oder weniger wirksame Produkte, die auf diesem Prinzip beruhen. Die Effizienz der Fettbindung ist mengenmäßig bedeutsam, sodass Chitosan allgemein in der Biochemie und Entsorgung zum Entfernen von Ölen, vereinzelt in Arzneimittelzulassungen (z. B. in Spanien) sowie in Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln mit der Wirkstoffbezeichnung Lipidadsorbens in vielen Ländern der Welt, auch in allen Mitgliedsländern der EU, unbeschränkt verkehrsfähig ist.

Diese Eigenschaft machen Chitosan als Emulgator einsetzbar, etwa als Komponente von Wachsen und Naturfarben.[8]

Die höchste Fettbindungskapazität wurde im Biopolymer L112 mit dem etwa 800-fachen seiner Eigenmasse festgestellt.[9]

Bindung von Schwebstoffen

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Chitosan wird in der Wasseraufbereitung, in der Abwasserklärung und in der Getränkeindustrie vielfältig und großtechnisch eingesetzt, um Schwebstoffe zu binden und auszufällen.

Andere Eigenschaften

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Anwendungen

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Stoffliche Nutzung

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Das Anwendungsspektrum dieses Polymers ist relativ breit und unübersichtlich (ähnlich wie bei Cellulose und anderen Biopolymeren). Chitosan wird vor allem als Filtermedium (zur Wassergewinnung oder in Kläranlagen) sowie als Ausgangsmaterial für Fasern,[16] Schaumstoffe, Membranen und Folien (bio-basierter Kunststoff) verwendet. Dabei gehören zu den positiven Eigenschaften in dem Bereich die Sauerstoff-Barrierewirkung, die einen Vakuumabschluss ermöglicht. Eine marktrelevante Fertigung von Biokunststoffen aus Chitosan existiert allerdings bislang nicht.

Mit seiner adsorbierenden, blutstillenden, anti-mikrobiellen und heilenden Wirkung kommt Chitosan auch in Medizinprodukten (z. B. bei Lipidadsorbens (L112) oder bei Wundauflagen) zum Einsatz. Des Weiteren findet Chitosan Verwendung in Zahnpasten (z. B. Chitodent), als Papier- und Baumwollzusatz sowie zum Ausfällen von Trübungen in der Getränkemittelindustrie. In der Arzneimittelindustrie wird an Chitosan seit langem geforscht, um es zur Mikroverkapselung und gezielten Freisetzung pharmakologischer Wirkstoffe zu verwenden, unter anderem als Vektor für die Gentherapie.

Chitosan-Anwendungen[17]
Anwendungsgebiet nutzbare Anwendungen Forschungsanwendungen
Gesundheit und Biotechnologie Hilfe zur Verdauung von Fetten Enzymimmobilisierung
Cholesterin-Verminderung Immobilisierung bei Synthesen
Lipidbinder zur Gewichtskontrolle Proteinseparation (Fällung)[8]
Lipidabtrennung Adsorption von Endotoxinen und Nukleinsäuren
Wundauflage Zell-Anreicherung
künstliche Haut Glucose-Elektrode
verzögerte Arzneimittelfreisetzung Chromatografie-Material
degradierbarer chirurgischer Füllstoff (Orthopädie, Ophthalmologie, Zahnheilkunde) Bindung polymerer Katalysatoren
Zellmobilisation Zellimmobilisierung (Biotechnologie)
Tumortherapie, Immunstimulation semipermeable Membrane
künstliche Gefäße degradierbares Nahtmaterial
künstliche Tränenflüssigkeit Kontaktlinsenmaterial
Zahncreme Einbettmittel für Elektronenmikroskopie
Landwirtschaft und Nahrungsmittel Versiegelung von Nahrungsmitteln Beschichtungsmittel
fungizide Saatgutbehandlung Konservierung von Saatgut
Entfernung von Farbstoffen, Feststoffen, Säuren
Konservierungsmittel für Obst und Gemüse Nahrungsmittelpackstoff
Stabilisator
Nahrungsmittelzusatz Ballaststoff
Geschmackstoff
Insektizid
Futtermittelzusatz Futtermittelzusatz in Milchproduktion
Nematozid
Beschichtung / Versiegelung von Saatgut und Blättern
Fertilisation Kompostbeschleunigung
verzögerte Freisetzung von Agrochemikalien
Holzschutz
Textilien wasserdurchlässige Stoffe
Kosmetika Dentalprodukte
Mundpflegemittel
Haarpflegemittel
bakteriostatische Konservierungsmittel
Hautpflegemittel
Wasserbehandlung Entfernung organochemischer Bestandteile
Entfernung von Schwermetallen Abwasserbehandlung
Trinkwasserbereitung Saftklärung (Kelterei)
Schwimmbadwasser-Aufbereitung Membranen für Wasserentsalzung
Papierindustrie Luftfiltrationsmaterial
Wasserfiltration
abbaubare Verpackungsmittel
Bindemittel für wiederverwendete Cellulose
Oberflächenglättemittel
Kopierpapiere
Fotopapiere
Technik elektronische Elemente Lautsprechermembranen

Ernährung

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In Nahrungsergänzungsmitteln wird Chitosan als „Fettblocker“ eingesetzt.[18][19] Die Verwendung als Nahrungszusatz wird hingegen in einigen Ländern einschließlich Deutschland als möglicherweise illegal betrachtet (in Österreich hingegen ist es legal), da eine Nahrungsergänzung nur die Nahrung ergänzen darf, aber nicht deren Resorption behindern soll. In den Ländern, in denen Chitosan im Nahrungsmittelbereich eingesetzt werden darf, wie etwa den USA, haben mehrere doppelblinde und randomisierte Studien ergeben, dass seine Wirkung ohne gleichzeitige Diät nicht nachgewiesen werden kann.[20]

Einzelnachweise

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  1. Sevda Şenel, Susan J. McClure: Potential applications of chitosan in veterinary medicine. In: Advanced Drug Delivery Reviews, 56, Nr. 10. 23. Juni 2004, S. 1467–1480, doi:10.1016/j.addr.2004.02.007.
  2. Rejane C.Goy, Sinara T.B.Morais, Odilio B.G.Assis: Evaluation of the antimicrobial activity of chitosan and its quaternized derivative on E. coli and S. aureus growth. In: Revista Brasileira de Farmacognosia, 26, Nr. 1, Januar/Februar 2016, 122–127, doi:10.1016/j.bjp.2015.09.010.
  3. Caiqin Qin, Huirong Li, Qi Xiao, Yi Liu, Juncheng Zhu, Yumin Du: Water-solubility of chitosan and its antimicrobial activity. In: J Carbohydr. Polym., 63, Nr. 3, 2006, S. 367–374, doi:10.1016/j.carbpol.2005.09.023.
  4. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  5. Fereidoon Shahidi, Jozef Synowiecki: Isolation and characterization of nutrients and value-added products from snow crab (Chionoecetes opilio) and shrimp (Pandalus borealis) processing discards. In: J. Agric. Food Chem., Band 39 (8), 1991, S. 1527–1532, doi:10.1021/jf00008a032
  6. Rudolf Hänsel, Otto Sticher (Hrsg.): Pharmakognosie – Phytopharmazie. 9. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-00962-4, S. 593 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Stoyko Fakirov, D. Bhattacharyya: Handbook of engineering biopolymers: homopolymers, blends and composites. Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-40591-2, S. 818.
  8. a b c Martin Riedl: Chitin - Chitosan, In: Sehestedter Naturfarben. 10. August 2020
  9. K. Raisch, S. Rockway: Validation of a quantitative fat binding assay for polyglucosamin (L112). Nutrition 2005, Geneva (2. Juni 2005).
  10. F. Poretti, T. Rosent, B. Körner und D. Vorwerk: Randomisierte Untersuchung zur Anwendung eines Chitosan-Gerinnungspads zur Blutstillung bei transbrachialen Angiographien. In: RöFo – Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen und der bildgebenden Verfahren. Band 177, Nr. 09, 2005, S. 1260–1266, doi:10.1055/s-2005-858328.
  11. Karl Beese GmbH & Co.: Die Wundauflage aus Chitosan – einem Urstoff der Natur (PDF-Datei; 1,1 MB).
  12. M. V. Bhaskara Reddy, J. Arul, P. Angers, L. Couture: Chitosan treatment of wheat seeds induces resistance to Fusarium graminearum and improves seed quality. In: J. Agric. Food Chem., Band 47 (3), 1999, S. 1208–1216.
  13. M. Eweis, S. S. Elkholy, M. Z. Elsabee: Antifungal efficacy of chitosan and its thiourea derivatives upon the growth of some sugar-beet pathogens. In: Int. J. Biol. Macromol., Band 38 (1), 2006, S. 1–8.
  14. a b Rudolf Hänsel, Otto Sticher: Pharmakognosie – Phytopharmazie – Google Books
  15. Institut für Umweltverfahrenstechnik (IUV) der Universität Bremen: Chitin, Chitosan auf Wasser-Wissen.de.
  16. Biogarn aus Chitin auf eierschale.wordpress.com, abgerufen am 27. Januar 2017.
  17. Chitin & Chitosan – a Global Strategic Business Report. Global Industry Analysts, Inc, archiviert vom Original am 15. April 2010; abgerufen am 1. Juli 2012.
  18. Nahrungsergänzungsmittel und funktionelle Lebensmittel: Fitmacher oder Konsumentennepp? (PDF) ak-tirol.com, archiviert vom Original am 15. Oktober 2016; abgerufen am 1. Juli 2012.
  19. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Nahrungsergänzungsmittel mit Zusatz von Chitosan (BVL 17/01/003). In: bvl.bund.de. 26. Juni 2017, abgerufen am 14. Dezember 2018.
  20. There is considerable doubt that chitosan is effective for reducing body weight in humans.“ nach Max H Pittler und Edzard Ernst: Dietary supplements for body-weight reduction. In: The American Journal of Clinical Nutrition 79(2004), S. 530. (PDF).
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