In Juli und August 2010 hat auf Anregung von UHT im Portal Recht eine wichtige Diskussion mit dem Titel „Wikipedia, "Deutschlandlastigkeit" und Rechtsvergleichung“ stattgefunden. Ihr Ergebnis hat eine weitreichende Umstrukturierung des juristischen Artikelbestands und Kategoriensystems zur Folge, die noch weit entfernt davon ist, abgeschlossen zu sein.
Die Diskussion verlief leider so kompliziert wie ihr Titel vermuten lässt. Eine gute Darstellung der wichtigsten Thesen ist Stechlin hier gelungen (in der weiteren Diskussion allerdings ziemlich untergegangen). Zitiert sei auch die treffende (wenn auch offenbar ironisch gemeinte) Zusammenfassung des Diskussionsergebnisses hinsichtlich des Kategoriensystems von DiRit:

„Die Kategorisierung hat neuerdings zum Ziel, die Artikel wissenschaftlich korrekt isoliert für jeden Staat (bzw. kirchliches Recht, historische Rechtsordnungen) einzeln zu kategorisieren. Ein übersichtliches System, das ein leichtes Auffinden von Artikeln in zeit- und länderübergreifendem Sinn ermöglicht, kann da kaum mehr erwartet werden. Die Kategoriesysteme zu verschiedenen Rechtsordnungen müssen nicht gleich aufgebaut sein und nicht in gleichem Maße hierarchisch gegliedert sein, maßgebend ist die jeweilige nationale Systematik und für das Maß der Aufgliederung auch die Anzahl der vorhandenen Artikel. Die größere Unübersichtlichkeit wird aufgewogen durch die wissenschaftliche Genauigkeit des Systems und durch einen zusätzlichen Kategorienzweig, der nicht nationales positives Recht, sondern rechtsvergleichende Artikel unter spezifisch rechtsvergleichenden Lemmata sammelt und einem breiten Publikum nahebringt, das möglicherweise für die feine Unterscheidung von positivem Recht und Rechtsvergleichung im Kategoriensystem noch nicht hundertprozentig sensibilisert ist. Soweit das rechtliche Kategoriensystem jetzt nicht mehr teutonozentrisch aufgebaut ist, wäre wünschenswert, dass gerade Nichtteutonen beim Aufbau der jeweiligen nationalen Kategoriensysteme mitwirken.“

Ausgehend von diesem Text von UHT, dem größten und engagiertesten Verfechter des neuen Systems, möchte ich mit folgendem Text aufzeigen, auf welcher theoretischen Grundlage die Umstrukturierungen im Bereich Recht letztlich beruhen. -- toblu [?!] 23:16, 1. Sep. 2010 (CEST)

Was Wikipedia von Rabel lernen sollte

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Die bisherige Struktur der juristischen Artikel leidet unter einem weit verbreiteten Missverständnis: der Verwechslung von (einer bestimmten Rechtsordnung zugehörigen) Rechtsinstituten und den von diesen geregelten Lebenssachverhalten. Die Positivität des Rechts wird dabei ignoriert.

Es gibt Wörter und es gibt Begriffe. Ein Wort, das zwei oder mehr verschiedene Begriffe bezeichnet ist ein Homonym. So bezeichnet das Wort Kiefer einen Baum, aber auch einen Teil des menschlichen Schädels: Kiefer ist also nicht gleich Kiefer. Genausowenig ist Strafgesetzbuch gleich Strafgesetzbuch und Schuldrecht gleich Schuldrecht. Gerade bei Rechtsbegriffen fällt es schwer, zu erkennen, dass es sich um reine Aequivokation (Homonymie bzw. Polysemie) handelt, Schuldrecht (Deutschland), Schuldrecht (Österreich) und Schuldrecht (Weitfortistan) also vollkommen unterschiedliche und voneinander unabhängige Begriffe sind, die außer dem Namen nichts gemein haben. Der Gesetzgeber eines jeden Staates ist frei, Rechtsgebiete nach seiner Vorstellung einzurichten und zu benennen. So kann er sein Handelsrecht morgen Unternehmensrecht nennen und sein Schuldrecht Obligationenrecht. Auch kann er diesen Worten zugeordnete Begriffe beliebig definieren und einen Lebenssachverhalt dem Familienrecht zuordnen, der in einem anderen Staat dem Erbrecht unterfällt.

Eine (regelmäßig nationale) Rechtsordnung besteht aus Rechtsnormen. Deren Untersuchung und Auslegung sind Gegenstand der jeweiligen (nationalen) Rechtswissenschaft. Rechtsvergleichung kann jedoch nicht aus dem Vergleich dieser Normen oder der von ihnen bezeichneten Institute bestehen, denn diese existieren stets nur in dem Staat (bzw. der Rechtsordnung), in dem sie einen Befolgungsanspruch erheben (der über das Internationale Privat- oder Strafrecht natürlich größer als das staatliche Territorium sein kann). Sinnvoll ist vielmehr der Vergleich von Lösungen, die sich aus den verschiedene Rechtsordnungen für einen bestimmten Lebenssachverhalt ergeben – denn einen Lebenssachverhalt kann es a priori überall auf der Welt und in jeder Rechtsordnung geben. Diese Lösungen kann man anschließend z. B. kriminologisch (im Strafrecht), politologisch (im Staatsrecht), soziologisch (im Arbeitsrecht) oder wirschaftswissenschaftlich (im Privatrecht) bewerten und so etwa versuchen, die (unter einem bestimmten Gesichtspunkt) „beste“ Lösung zu finden. Dies ist das Anliegen der funktionalen Rechtsvergleichung.

Es ist daher nur logisch, die Ergebnisse rechtsvergleichender Arbeit nicht nach nationalen Systembegriffen zu ordnen. Vielmehr ist zwar die Verwendung von Homonymen (zu solchen nationalen Systembegriffen) möglich – sie darf aber nie darüber hinwegtäuschen, dass der rechtsvergleichende Begriff Bereicherungsrecht nicht alle Begriffe des deutschen, französischen oder japanischen Bereicherungsrechts erfassen muss und gleichzeitig Begriffe enthalten kann, die in Deutschland Teil des Verwaltungsrechts und in Frankreich Teil des Erbrechts sind. Gleiches gilt für die Artikel: der Artikel Schuldrecht kann nur der Verweisung auf die (homonymen) Artikel Schuldrecht (Deutschland), Schuldrecht (Österreich) usw. dienen – oder sich rechtsvergleichend mit dem Problemkreis Schuldrecht befassen, der dann aber keinen Anspruch darauf erheben kann, zu irgendeiner nationalen Vorstellung von Schuldrecht kongruent zu sein oder diese vollständig zu erfassen.