Abstrakte Malerei

nicht gegenstandsbezogene Malweise

Abstrakte Malerei (von lat. abstrahere: abziehen, trennen) oder auch Absolute Malerei (siehe hierzu → Abstrakte Kunst) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Strömungen nicht gegenstandsbezogener Malweisen der Klassischen Moderne.

Wassily Kandinsky: Das Jüngste Gericht/Komposition V, 1911
Robert Delaunay: Disque simultané, 1912/13

Als Abstrakte Malerei wird ein Ordnen oder Komponieren mit Farben, Kontrasten, Linien und geometrischen Formen ohne absichtliche Abbildung von Gegenständen oder das – ohne Kompositionsabsicht – gestische Auftragen von Farben auf Leinwand (Action Painting, Informel) bezeichnet.

In der Abstrakten Malerei vollzog sich ein Bruch mit einem der Grundprinzipien der historisch gewachsenen abendländischen Malerei. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Bezug zu real existierenden Objekten universaler und stilunabhängiger Bezugspunkt künstlerischen Schaffens.

 
Adolf Hölzel: Abstraktion II, 1915/16, Öl auf Leinwand, Staatsgalerie Stuttgart

Unter dem Begriff der Abstrakten Malerei versteht man die Tendenz, jeden Bezug zur Gegenständlichkeit zu vermeiden und das Gemalte auf Form- und Farbklänge und ihre innerbildlichen Bezüge und Gegensätze zu beschränken.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Abstraktions-Begriff in Bezug auf die Bildende Kunst ständig erweitert. Abstrakte Malerei konnte schließlich jede beliebige Form einer vereinfachenden, die Natureindrücke reduzierenden Darstellung bezeichnen.

Die Anfänge der Abstrakten Malerei um 1910

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Kasimir Malewitsch – Schwarzes Quadrat, 1915

Der Weg in die reine Abstraktion wird in der Kunstrezension als eine notwendige Entwicklung innerhalb allgemeiner Tendenzen der Klassischen Moderne angesehen. So wird die Abstrakte Malerei als eine Konsequenz des Neoimpressionismus, Fauvismus, Expressionismus und Kubismus aufgefasst.

Die Anfänge rein abstrakter Malerei liegen in der Zeit nach 1910. Zu den maßgeblichen Begründern werden Wassily Kandinsky, František Kupka, Piet Mondrian und Robert Delaunay gezählt. Eines der radikalsten und kontroversesten Werke der Abstrakten Malerei ist das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, das im Jahr 1915 erstmals ausgestellt wurde.

 
Hilma af Klint – Ursprüngliches Chaos Nr. 16, 1906/1907

Wer das erste abstrakte Werk geschaffen hat, ist allerdings umstritten. Dass es Kandinsky gewesen sei, der im Jahr 1910 als erster ein vollkommen abstraktes Aquarell ohne Titel geschaffen habe, wird inzwischen angezweifelt. Es wird angenommen, dass es vordatiert ist und als Studie zu Komposition VII aus dem Jahr 1913 gedient haben könnte.[1] Nach neuesten Erkenntnissen soll die von Okkultismus, Spiritismus und Theosophie angeregte schwedische Malerin Hilma af Klint bereits 1906 das erste abstrakte Bild gemalt haben.[2] Allerdings blieb ihr erst jüngst entdecktes Werk seiner Zeit vollkommen unbekannt und gewann daher keinerlei Einfluss auf die Entwicklung der abstrakten Malerei. Als erster stellte František Kupka 1912 im Pariser Salon d’Automne völlig abstrakte Bilder aus und erregte damit enormes Aufsehen. In der Entstehungszeit der Abstrakten Malerei gab es keine bestimmte Gruppierung von Künstlern, die sich allein dieser neuen Richtung in der Malerei verschrieben hatte. Die nicht gegenstandsbezogen arbeitenden Maler gehörten verschiedenen, mehr oder weniger unabhängig wirkenden Strömungen an.

Die neue malerische Sichtweise verbreitete sich nach 1910 rasch in Europa. Im Jahr 1913 kann man bereits von einer „Mode“ sprechen. Heute ist die Abstrakte Malerei integraler Bestandteil der Kunst der Moderne.

Als im Kontext bedeutsam wird die etwa zeitgleiche Entstehung der atonalen Musik Arnold Schönbergs angesehen.

Abstraktion in der Malerei vor 1910

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William Turner: Shade and Darkness – the Evening of the Deluge, 1843. Öl auf Leinwand, 79 × 79 cm
 
Beispielbild des Genres Farbfeldmalerei

Bereits im 19. Jahrhundert entstanden Gemälde und Grafiken ohne direkt erkennbaren Bezug zum Gegenstand. Hunderte solcher Bilder finden sich beispielsweise im Werk des englischen Malers William Turner, des französischen Dichters und Zeichners Victor Hugo sowie des französischen Symbolisten Gustave Moreau.[3] Auf der diskursiven Ebene wird die Idee einer abstrakten Malerei erstmals in der Frühromantik fassbar.[4] Eine Generation später beschreibt Gottfried Keller, der in der Jugend eine Ausbildung zum Maler durchlaufen hatte, in seinem autobiografischen Roman Der grüne Heinrich, wie der Protagonist eine abstrakte Zeichnung verfertigt, worauf sein Malerfreund Erikson – wenn auch nur ironisch – das Zeitalter der gegenstandslosen Kunst, verbunden mit der Utopie einer egalitären Gesellschaft, ausruft.[5] Das Studium der Wirkungen von Linien und Farben im Sinne abstrakt formaler Darstellungsprinzipien wurde vor 1900 fast ausschließlich im Atelier betrieben. Vielen traditionellen Werken lagen abstrakte Vorstudien und Skizzen zugrunde. In diesem Sinn lag „die Errungenschaft der Avantgarde um 1912 nicht in der Erfindung der Abstraktion“, „sondern darin, dass diese zum Kunstwerk erklärt wurde.“[6]

Die Hauptvertreter der ersten Bewegungen der Klassischen Moderne, des Fauvismus und des Kubismus, Henri Matisse und Pablo Picasso, vollzogen den letzten Schritt zur vollständigen Abstraktion nicht. Sie vertraten den Standpunkt, dass auf diese Weise die Abstraktion nur imitiert werde. Erst um 1910 entstand die erste größere Welle rein abstrakt malender Künstler. Es entwickelten sich strenge abstrakte Richtungen wie der Konstruktivismus oder der Suprematismus.

Unterschiedliche abstrakte Tendenzen in der Malerei

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Die abstrakte Malerei zerfiel nach ihrer Entstehung rasch in eine Reihe von Stilen. Ihre stilübergreifende Einteilung in eine expressive Abstraktion (Kandinsky) und eine geometrische Abstraktion (Malewitsch, Theo van Doesburg, Piet Mondrian) bzw. in eine lyrische und eine konstruktiv-geometrische Richtung hat wesentlich äußerliche Merkmale im Auge, weniger methodische Unterschiede. Sogar im Surrealismus kamen abstrakte Prinzipien zur Anwendung (vgl. Automatismus). Bekanntester Vertreter des später so benannten abstrakten Expressionismus bzw. des Action Painting wird der Amerikaner Jackson Pollock; bahnbrechend waren hier jedoch andere Maler, so der französische Surrealist André Masson.

„Malerei“ von Tieren

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Ein Bild von Congo

Der 1954 geborene Schimpanse Congo malte „abstrakte“ Bilder, von denen einige in einer Kunstausstellung in London präsentiert wurden. Die Bilder wurden von Kunstkennern zu hochrangigen Werken abstrakter Kunst erklärt. Nach Bekanntgabe des Künstlers kam es zu hitzigen Diskussionen über die Kunstwürdigkeit solcher Arbeiten.

Abstrakte Malerei erfuhr von Anfang an neben begeisterter Aufnahme und Verteidigung auch polemische und ernsthafte Kritik. Selbst bedeutende Künstler und Kunsthistoriker standen ihr kritisch bis ablehnend gegenüber.

Die Abstrakte Malerei hatte es schwer, vom Publikum, aber auch von der Kunstkritik aufgenommen und akzeptiert zu werden. Sie stieß aufgrund ihrer Abweichung vom etablierten Kunstbegriff und durch ihren Verzicht auf die gegenständliche Abbildung beim breiten Publikum auf Missfallen. Es wurde geäußert, dass es sich nicht um Kunst handle und weder künstlerische Begabung noch handwerkliches Können zu ihrer Erstellung notwendig seien. Die oben erwähnten Beispiele von malenden Schimpansen wurden häufig von Kritikern der Abstrakten Malerei in polemischer Weise angeführt.

In andere Richtung geht die Kritik, Abstrakte Malerei, vornehmlich der Abstrakte Expressionismus, sei im Kalten Krieg funktionalisiert worden.[7] Danach subventionierte die CIA Jackson Pollock und andere Abstrakte Expressionisten im Wege des Congress for Cultural Freedom und in Übereinstimmung mit der Förderungspolitik der Rockefeller Foundation und der Ford Foundation. Während Stalin in seinem unmittelbaren Machtbereich den «sozialistischen Realismus» forcierte, bot sich so nach dem Krieg die Abstrakte Malerei im zerstörten Europa als Demonstration politischer und künstlerischer Fortschrittlichkeit und Freiheit (ohne sozialkritische Botschaft) an.

Vertreter der Abstrakten Malerei (Auswahl)

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Siehe auch

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Literatur

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  • Heinz Althöfer (Hrsg.): Informel. Der Anfang nach dem Ende. Schriftenreihe des Museums am Ostwall, Band 1, Dortmund 1999.
  • David Anfam: Abstract Expressionism. Thames and Hudson, New York 2007 (Reprint with revisions).
  • Susanne Anna (Hrsg.): Die Informellen – von Pollock zu Schumacher. Hatje Cantz, Ostfildern 1999.
  • Christine Baus: Das Formelle in der informellen Malerei. Eine methodologische Untersuchung zur Malerei des deutschen Informel. Dissertation, Heidelberg 2008. ub.uni-heidelberg.de (PDF)
  • Tayfun Belgin (Hrsg.): Kunst des Informel: Malerei und Skulptur nach 1952. Wienand Verlag, Köln 1997.
  • Roger M. Buergel, Stefanie-Vera Kocklot (Hrsg.): Abstrakter Expressionismus: Konstruktionen ästhetischer Erfahrung. Verlag der Kunst, Dresden 2000.
  • Mark A. Cheetham: The Rhetoric of Purity. Essentialist Theory and the Advent of Abstract Painting. Cambridge University Press, Cambridge/New York 2009.
  • Frances Colpitt (Hrsg.): Abstract art in the late twentieth century. Cambridge University Press, Cambridge UK 2002.
  • Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Taschen, Köln 2008.
  • Ann Eden Gibson: Abstract Expressionism. Other Politics. Yale University Press, New Haven/London 1997.
  • Max Henry: The New Atlantis: Abstract America. Saatchi Gallery, Jonathan Cape, London 2008.
  • Barbara Hess: Abstrakter Expressionismus. Taschen, Köln 2005.
  • Nicola Carola Heuwinkel: Entgrenzte Malerei. Art informel in Deutschland. Dissertation, Kehrer Verlag, Heidelberg / Berlin 2010.
  • Kay Heymer, Susanne Rennert, Beat Wismer (Hrsg.): Le grand geste! Informel und abstrakter Expressionismus 1946–1964. Anlässlich der Ausstellung im Museum Kunst-Palast, Düsseldorf, 10. April 2010 bis 1. August 2010. DuMont, Köln 2010.
  • Claudine Humblet: The New American Abstraction 1950–1970. (Bd. 1–3), Skira, Milano / Thames & Hudson, London 2007.
  • Petra Joswig: Abstrakter Expressionismus: “Nature into Action”. Dissertation. Heidelberg 2001. ub.uni-heidelberg.de (PDF)
  • Norman L. Kleeblatt (Hrsg.): Action Abstraction. Pollock, De Kooning, and American Art, 1940–1976. Yale University Press, New Haven/London 2008.
  • Ellen G. Landau (Hrsg.): Reading Abstract Expressionism: Context and Critique. Yale University Press, New Haven 2005.
  • Susan Landauer: The San Francisco School of Abstract Expressionism. With an Introduction by Dore Ashton. Laguna Art Museum, Laguna Beach, CA 1996.
  • Heinrich Lützeler: Abstrakte Malerei, Gütersloh 1961.
  • Elisabeth Madlener (Hrsg.): Abstrakte Malerei zwischen Analyse und Synthese. Das Buch erscheint als Folgepublikation zur Ausstellung Abstrakte Malerei zwischen Analyse und Synthese vom 24. Januar bis 18. März 1992 in der Galerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien sowie zum gleichnamigen Internationalen Kunstgespräch der Galerie Nächst St. Stephan in der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien, am 25. Januar 1992. Ritter Verlag, Klagenfurt 1992.
  • Joan Marter (Hrsg.): Abstract Expressionism. The International Context. Rutgers University Press, New Brunswick / New Jersey / London 2007.
  • Kobena Mercer (Hrsg.): Discrepant Abstraction. MIT Press, Cambridge MA / London 2006.
  • Bob Nickas: Painting Abstraction: New elements in Abstract Painting. Phaidon, London 2009.
  • Rosalind Ormiston: Moderne Kunst – Die 50 wichtigsten Stilrichtungen. Prestel-Verlag, Köln, 2014, ISBN 978-3-7913-4881-0.
  • Clifford Ross (Hrsg.): Abstract Expressionism: Creators and Critics: An Anthology. Abrams Publishers, New York 1990.
  • Irving Sandler: Abstract Expressionism and the American Experience: A Reevaluation. Hard Press Editions, Lenox MA and School of Visual Arts, New York in association with Hudson Hills Press, Manchester VT / New York 2009.
  • Karin Thomas: Blickpunkt Moderne – Eine Geschichte der Kunst von der Romantik bis heute. DuMont Buchverlag München, 2010, ISBN 978-3-8321-9333-1.
  • Barbara Til (Hrsg.): Zero – Internationale Künstler-Avantgarde der 50er/60er Jahre. Anlässlich der Ausstellung im Museum Kunst-Palast, Düsseldorf, 8. April bis 9. Juli 2006; Musée d’Art Moderne, Saint-Etienne 15. September 2006 bis 15. Januar 2007. Hrsg. vom Museum Kunst-Palast. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006.
  • Rolf Wedewer: Die Malerei des Informel: Weltverlust und Ich-Behauptung. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2007.
  • Karen Wilkin: Color as field. American Painting 1950–1975. With an essay by Carl Belz. American Federation of Arts in association with Yale University Press, New York / New Haven 2007. afaweb.org (PDF; 607 kB)
  • Klaus Wolbert (Hrsg.): Gutai. Japanische Avantgarde 1954–1965. Mathildenhöhe Darmstadt 24. März bis 5. Mai 1991. Darmstadt 1991. Michael Leja: Reframing Abstract Expressionism: Subjectivity and Painting in the 1940s. Yale University Press, New Haven CT 1993.
  • Christoph Zuschlag, Hans Gerke, Annette Frese (Hrsg.): Brennpunkt Informel: Quellen, Strömungen, Reaktionen. Anlässlich der Ausstellung „Brennpunkt Informel“ des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg und des Heidelberger Kunstvereins in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Wienand-Verlag, Köln 1998.
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Commons: Abstrakte Malerei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Ohne Titel – 1910 (Memento vom 18. Februar 2015 im Internet Archive), arcor.de, abgerufen am 18. Februar 2015.
  2. Clemens Bomsdorf: Der FAZ-Frühling der Hilma af Klint (Memento vom 24. Mai 2011 im Internet Archive), www.art-magazin.de, 19. Mai 2011 (mit Abb.), abgerufen am 24. Oktober 2011.
  3. Raphael Rosenberg, Max Hollein: Turner – Hugo – Moreau. Entdeckung der Abstraktion. Hirmer Verlag, 2007, ISBN 978-3-7774-3755-2 online
  4. Vgl. Klaus Lankheit: Die Frühromatink und die Grundlagen der "gegenstandslosen Malerei", in: Neue Heidelberger Jahrbücher, N.F., 1951, S. 55–90.
  5. 2. Fassung, 3. Buch, 15. Kap.
  6. www.schirn-kunsthalle.de (Memento vom 24. Oktober 2007 im Internet Archive) Begleittext zur Ausstellung Turner – Hugo – Moreau. Entdeckung der Abstraktion in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, dump vom 5. Januar 2008.
  7. So Frances Stsonor Saunders in: Who paid the Piper. The CIA and the Cultural Cold War