(G,X)-Struktur

geometrische Struktur

In der Mathematik geben (G,X)-Strukturen (auch lokal homogene Strukturen oder geometrische Strukturen) eine Möglichkeit, topologische Mannigfaltigkeiten mit geometrischen Strukturen im Sinne von Felix Kleins Erlanger Programm zu versehen. Dieser Ansatz wird unter anderem in der Geometrisierung von 3-Mannigfaltigkeiten und in der Darstellungstheorie von Gruppen benutzt.

(G,X)-Strukturen

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Es sei   eine Lie-Gruppe und   ein transitiver G-Raum.

Eine  -Mannigfaltigkeit ist eine Mannigfaltigkeit   mit einem  -Atlas  , also einer Überdeckung durch offene Mengen

 

zusammen mit Homöomorphismen

 

auf offene Teilmengen von  , so dass alle Koordinatenübergänge

 

Einschränkungen von Elementen aus   sind.

Entwicklungsabbildung und Holonomie

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Entwicklungsabbildung

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Fixiere einen Basispunkt   und eine Karte   mit  . Sei

 

die universelle Überlagerung. Diese Daten legen eine Abbildung (die sogenannte Entwicklungsabbildung)

 

fest, die für jeden Weg mit der analytischen Fortsetzung entlang des Weges übereinstimmt.

Für anders gewählte Ausgangsdaten   und   ändert sich die Entwicklungsabbildung nur um die Anwendung eines Elementes aus  .

Vollständigkeit

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Die Entwicklungsabbildung ist ein lokaler Homöomorphismus. Eine  -Mannigfaltigkeit heißt vollständig, wenn ihre Entwicklungsabbildung surjektiv ist. Falls   einfach zusammenhängend ist, ist dann jede vollständige  -Mannigfaltigkeit von der Form   für eine diskrete Untergruppe  .

Es wirke   durch analytische Diffeomorphismen mit kompakten Stabilisatoren auf  . Dann gibt es auf jeder  -Mannigfaltigkeit   eine  -invariante Riemannsche Metrik und die folgenden Bedingungen sind äquivalent:

  •   ist ein vollständiger metrischer Raum.
  • Es gibt ein  , so dass alle abgeschlossenen  -Kugeln kompakt sind.
  • Alle abgeschlossenen Kugeln sind kompakt.
  • Es gibt eine Familie kompakter Mengen   mit  , so dass für alle   die  -Umgebung von   in   enthalten ist.

Insbesondere sind in diesem Fall abgeschlossene  -Mannigfaltigkeiten stets vollständig.

Holonomie

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Für

 

gibt analytische Fortsetzung entlang eines   repräsentierenden geschlossenen Weges eine mit   vergleichbare Karte  , denn beide sind auf einer Teilmenge von   definiert. Sei

 ,

so dass

 .

Die Abbildung

 
 

ist ein Gruppenhomomorphismus und heißt die Holonomie der  -Struktur.

Nach Konstruktion ist die Entwicklungsabbildung äquivariant bzgl. des Holonomie-Homomorphismus, d. h. es gilt

 .

Für anders gewählte Ausgangsdaten   und   ändert sich die Holonomie nur um Konjugation mit einem Element aus  . Man hat also eine Abbildung

 .

Bündel-Interpretation (Satz von Ehresmann-Thurston-Weil)

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Einer  -Struktur auf   mit (G,X)-Atlas  und Koordinatenübergängen   kann man ein Faserbündel

 

zuordnen, dessen Übergangsabbildungen gerade die   sind. In dieser Interpretation entspricht die Entwicklungsabbildung einem Schnitt  . Das Bündel   ist also ein flaches Bündel mit Monodromie  .

Umgekehrt entspricht ein Schnitt   genau dann einer  -Struktur, wenn er transversal zu den durch   definierten Blätterungen ist.

Weil Transversalität eine offene Bedingung ist, folgt daraus, dass   ein lokaler Homöomorphismus ist.

Beispiele

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Modellgeometrien

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Eine Modellgeometrie ist eine differenzierbare Mannigfaltigkeit   mit einer differenzierteren Wirkung einer Lie-Gruppe  , die den folgenden Bedingungen genügt:

  •   ist zusammenhängend und einfach zusammenhängend
  •   wirkt transitiv mit kompakten Stabilisatoren (insbesondere gibt es auf   eine  -invariante Riemannsche Metrik)
  •   ist maximal unter Gruppen, die durch Diffeomorphismen mit kompakten Stabilisatoren auf   wirken
  • es gibt mindestens eine kompakte  -Mannigfaltigkeit.

Aus der letzten Bedingung folgt insbesondere, dass   unimodular sein muss. Es gibt zahlreiche Paare  , die alle Bedingungen mit Ausnahme der letzten erfüllen, zum Beispiel  , die Lie-Gruppe der affinen Abbildungen der euklidischen Ebene.

2-dimensionale Modellgeometrien

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2-dimensionale Modellgeometrien wurden von Cartan klassifiziert, es handelt sich um die 2-dimensionale Sphäre, die euklidische Ebene und die hyperbolische Ebene, jeweils mit ihren vollen Isometriegruppen.

3-dimensionale Modellgeometrien

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3-dimensionale Modellgeometrien wurden von Thurston klassifiziert. Es gibt acht 3-dimensionale Modellgeometrien, wobei   jeweils die Isometriegruppe der homogenen Metrik ist:

  • den euklidischen Raum  ,
  • die dreidimensionale Sphäre   (Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel),
  • den hyperbolischen Raum  ,
  • das Produkt von 2-Sphäre und Gerade,  ,
  • das Produkt von hyperbolischer Ebene und Gerade,  ,
  •  , der universellen Überlagerung der speziellen linearen Gruppe  
  • die Heisenberg-Gruppe  
  • die 3-dimensionale auflösbare Lie-Gruppe  .

4-dimensionale Modellgeometrien

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4-dimensionale Modellgeometrien wurden von Filipkiewicz klassifiziert.[1][2]

Affine Mannigfaltigkeiten

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Affine Mannigfaltigkeiten sind  -Mannigfaltigkeiten für   und   die Gruppe der affinen Abbildungen. Die (für n=3 von Fried und Goldman bewiesene) Auslander-Vermutung besagt, dass die Fundamentalgruppe kompakter affiner Mannigfaltigkeiten polyzyklisch ist.

Konforme Mannigfaltigkeiten

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Eine konforme Struktur ist eine  -Struktur mit   und  .

Projektive Mannigfaltigkeiten

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Projektive Mannigfaltigkeiten sind  -Mannigfaltigkeiten für  . In diesem Fall entsprechen die  -Strukturen den flachen projektiven Zusammenhängen.

Komplex projektive Mannigfaltigkeiten sind  -Mannigfaltigkeiten für  .

Fahnenstruktur

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Eine Fahnenstruktur ist eine  -Struktur mit   und   die Fahnenmannigfaltigkeit, d. h. der Raum der vollständigen Fahnen im  , mit der kanonischen Wirkung von   und Stabilisator   die Untergruppe der oberen Dreiecksmatrizen.

Hierarchien von Geometrien

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Wenn   ein Homomorphismus und   ein  -äquivarianter lokaler Diffeomorphismus ist, dann ist jede  -Mannigfaltigkeit automatisch auch eine  -Mannigfaltigkeit.

Zum Beispiel zeigt das Beltrami-Klein-Modell der hyperbolischen Geometrie, dass jede hyperbolische Mannigfaltigkeit automatisch auch eine projektive Mannigfaltigkeit ist. Auch die anderen 3-dimensionalen Thurston-Geometrien mit Ausnahme von   und   lassen sich als Teilmenge der projektiven Geometrie interpretieren.

Literatur

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  • William P. Thurston: Three-dimensional geometry and topology. Vol. 1. Edited by Silvio Levy. Princeton Mathematical Series, 35. Princeton University Press, Princeton, NJ, 1997. ISBN 0-691-08304-5
  • G. Peter Scott: The geometries of 3-manifolds. Bull. London Math. Soc. 15 (1983), no. 5, 401–487. online
  • Richard Canary; David Epstein; P. L. Green: Notes on notes of Thurston. With a new foreword by Canary. London Math. Soc. Lecture Note Ser., 328, Fundamentals of hyperbolic geometry: selected expositions, 1–115, Cambridge Univ. Press, Cambridge, 2006
  • William P. Thurston: The Geometry and Topology of Three-Manifolds online
  • Yoshinobu Kamishima; Ser Peow Tan: Deformation spaces on geometric structures. Aspects of low-dimensional manifolds, 263–299, Adv. Stud. Pure Math., 20, Kinokuniya, Tokyo, 1992
  • William M. Goldman: Locally homogeneous geometric manifolds. Proceedings of the International Congress of Mathematicians. Volume II, 717–744, Hindustan Book Agency, New Delhi, 2010. pdf
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Nachweise

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  1. R. P. Filipkiewicz: Four-dimensional geometries, Ph.D. Thesis, Univ. Warwick, Coventry, 1984; per bibl.
  2. C. T. C. Wall: Geometries and geometric structures in real dimension 4 and complex dimension 2. Geometry and topology (College Park, Md., 1983/84), 268–292, Lecture Notes in Math., 1167, Springer, Berlin, 1985