Umm er-Rasas

archäologische Stätte in Jordanien
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Umm er-Rasas (arabisch أم الرصاص, DMG Umm ar-Raṣāṣ), während ihrer Blütezeit Kastron Mefa’a, Mefa, Mefaa, Mefaath oder Mephaon[1] genannt, ist eine archäologische Ausgrabungsstätte in Jordanien mit römischen und byzantinisch-christlichen Ruinen vom Ende des 3. bis zum 9. Jahrhundert. Die erst in kleinen Teilen ergrabene Siedlung liegt nahe dem modernen Ort Umm ar-Rasas, der sich im gleichnamigen Kreis befindet und rund 80 Kilometer südlich von Amman und 30 Kilometer südöstlich von Madaba entfernt ist.[2] Vermutlich repräsentiert die Fundstätte auch das im Alten Testament bei Josua 13, 18 und 21, 37 sowie bei Jeremia 48, 21 erwähnte Mefaat (auch Mephaat, Mefa'at, Mepha'at).[1] Seit 2004 gehört Umm er-Rasas zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Reste des ursprünglichen Kastron Mefaa: Die Mauern des römischen Kastells
Stadtvignette von Kastron Mefaa, Detail des Bodenmosaiks in der Stephanuskirche

Geschichte und Sehenswürdigkeiten

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Funde, die im Bereich der 718 erbauten byzantinischen Kirche St. Stephan bei den Ausgrabungen geborgen wurden, deuten auf eine erste Besiedlung während der Eisenzeit hin. Dazu zählt die Basis einer Basaltsäule, ein Skarabäus sowie keramisches Material der Eisenzeit IIc (700–586 v. Chr.).[3] Daneben fanden sich auch thamudische, nabatäische sowie lateinische Inschriften, die als Spolien im Kirchenkomplex von St. Stephan verbaut waren.

Die während der byzantinischen Herrschaft entstandene Siedlung Kastron Mefaa, die sich über drei Hektar erstreckt, befindet sich auf einem Hochplateau und ist in einem Umkreis von mindestens 20 Kilometern deutlich sichtbar.[2] Bisher konnte nur ein kleiner Teil ihrer Ruinen ergraben werden. Dazu gehört ein Teilbereich der um 300 n. Chr. gegründeten spätrömischen Kavalleriegarnison der Grenzschutztruppen, das eigentliche Kastron Mefaa, mit einer Fläche von 158 × 139 Metern.[4]

Während des 6. Jahrhunderts wurde das inzwischen vom Militär aufgegebene Kastell tiefgreifend von der Zivilbevölkerung umgestaltet. Diese Änderungen betrafen sowohl die Umwehrung als auch im Besonderen den Innenausbau der Fortifikation. So wurde der bis dahin einzige Zugang zum Kastell, das Nordtor, vermauert und zu einem kleinen Schwitzbad (Laconium) umgestaltet.[5] Stattdessen wurden zwei weitere Tore an der Nord- und Südfront der ehemaligen Fortifikation errichtet. Offenbar entstand die nun angelegte Bebauung im Inneren des Mauerrings ohne feste Regeln für die räumliche Verteilung. Sowohl die Wohnhäuser als auch die nun angelegten Kirchen waren lediglich durch enge Gassen und unregelmäßige Durchgänge voneinander getrennt.[6] Gleichzeitig entwickelte sich nördlich vor den alten Garnisonsmauern[2] – begrenzt durch einen öffentlichen Platz[6] – ein zweites, etwa gleich großes[2] Stadtviertel. In der Mitte des Platzes stand eine Säule, auf der sich ein Kreuz befand. So überliefert das ein Mosaik des 6. Jahrhunderts aus der sogenannten Löwenkirche, eines der zwölf ergrabenen Gotteshäuser von Mefaa. Die weitere Morphologie in der Umayyadenzeit zu diesem Platz und der Säule zeigt der jüngere Mosaikfußboden aus der dem heiligen Stefanus geweihten Kirche. Hier ist die Säule ohne Kreuz dargestellt, da dieses mit dem Einzug des Islam offenbar abgenommen werden musste. Die Stephanskirche war ein wichtiges religiöses Zentrum der Stadt. Die wertvollen Mosaiken im ehemaligen Gotteshaus zeigen Stadtansichten aus Jordanien, Palästina und Ägypten.

Bereits im 6. Jahrhundert fand aufgrund einer Einwanderungswelle aus dem Jemen eine frühe „Arabisierung“ vieler Regionen in den syrischen und palästinischen Provinzen, einschließlich der Arabia und Transjordanien, statt. Die so ins Land gekommenen arabischen Stämme hatten ihre ursprüngliche Heimat im Jemen. Zumeist waren sie Christen und häufig mit dem Byzantinischen Reich verbündet.[6]

Am Ende des 8. Jahrhunderts existierte in Kastron Mefaa ein blühendes städtisches Sozialleben. Diese christliche Gemeinschaft war religiös und administrativ organisiert und zeigte eine außergewöhnliche künstlerische Vitalität. Die große Zahl von Gotteshäusern macht deutlich, dass der Ort während der byzantinischen Ära ein kirchlicher Brennpunkt für die Region gewesen ist. Eine nur teilweise ergrabene große Weinkellerei mit einem Kelterbereich aus mehreren Becken, die einen Boden aus weißen Mosaiksteinen besaßen, legt ein Schlaglicht auf die weltlichen Genüsse der Stadt. Ein essentieller Beitrag zur Lebenserhaltung in dem unwirtlichen Wüstenrandgebiet fiel auf die örtliche Landwirtschaft. Die Bauern von Kastron Mefaa terrassierten die angrenzenden Wadis im Norden, Nordosten und Nordwesten des alten Kastells. Weitere entsprechend gestaltete Felder wurden auch im Süden und Südwesten beobachtet. Auf den so entstandenen Terrassen konnte mithilfe von niedrigen Staumauern in den Trockentälern das Wasser zur Pflege der Kulturpflanzen gewonnen werden. Die Terrassenausfachungen bestehen größtenteils aus kolluvialen Böden, die kiesige Schotter mit feinsandigem Schluff verbinden. Die Abdeckung dieser Böden ist meist rund 0,30 Meter stark und besteht ebenfalls aus feinem Sandschluff.

Zu Beginn des 9. Jahrhunderts erfolgte der Niedergang des christlichen Lebens und damit der Stadt. Die Befunde bezeugen somit auch die Aufgabe der kirchlichen Bauten. Die durch den Islam eingeleitete kulturelle und geistige Transformation lässt sich sehr deutlich im archäologischen Kontext nachweisen, da jetzt äußerst einheitliche Keramiktypologien aus der späten Umayyaden- und frühen Abbasidenzeit ab 750 n. Chr. existieren.[7] Speziell während der Abbasidenherrschaft wurden die Regeln für Christen in der islamischen Welt wesentlich strenger. Es griff nun das Bilderverbot im Islam. In den Kirchen von Kastron Mefa'a mussten alle menschlichen Darstellungen getilgt werden. Auch aus den Mosaiken wurden sie entfernt. Der Bildersturm machte auch vor Tierdarstellungen nicht halt, so wurden viele Fische, zumeist aber deren Köpfe entfernt und bei etlichen Tintenfischen die Augen getilgt. Aus unbekannten Gründen blieb in der Stephanskirche nur eine einzige menschliche Darstellung in den Mosaikfußböden erhalten.

Rund 1300 Meter nördlich vom Kastell entfernt lag ein Klosterkomplex[7] mit einem 15 Meter hohen Stylitturm in seiner Nähe, der bis heute bei einer kleinen Kirchenruine und einer Zisterne steht.[8] Dies berichten noch arabischen Quellen des 9. und 12. Jahrhunderts.[7]

Literatur

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  • Johanna Ritter-Burkert: Um er-Rasas – Kastron Mefa’a (JO). In: Hans-Peter Kuhnen: Wüstengrenze des Imperium Romanum – Die Schicksalsgrenze Roms im Orient von Augustus bis Heraclius. In: Hans-Peter Kuhnen (Hrsg.): Wüstengrenze des Imperium Romanum. Der römische Limes in Israel und Jordanien. Nünnerich-Asmus, Mainz 2018, ISBN 978-3-96176-010-7, S. 162.
  • Basema Hamarneh: Dynamics and Transformation of the Rural Settlements of Provincia Arabia and Palaestina Tertia in Omayyad and Early Abbasid periods. Archaeological Evidence. In: Paolo Matthiae, Frances Pinnock, Lorenzo Nigro, Nicolò Marchetti (Hrsg.): ICAANE 6. Proceedings of the 6th International Congress of the Archaeology of the Ancient Near East. 3, Islamic Session, Posters Session, Harrassowitz, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-447-06217-6, S. 91–110; hier: S. 93–94.
  • Ariel S. Lewin: Kastron Mefaa, the ‘Equites promoti indigenae’ and the creation of a late Roman frontier. In: Liber annuus 51 (2001), S. 293–304.
  • Ghazi Bisheh, Ina Kehrberg, Lara Tohme, Fawzi Zaydine: The Umayyads and their Christian Subjects. In: The Umayyads. The Rise of Islamic Art. Arab Institute for research and publishing, International Museum with no frontiers exhibition cycles, Spanien 2000, ISBN 1-874044-35-X, S. 77–108.
  • Michele Piccirillo: La Chiesa della Tabula Ansata a Umm al-Rasas – Kastron Mefaa. In: Liber Annuus 53 (2003), S. 285–324.
  • Michele Piccirillo: Umm al-Rasas – Kastron Mefaa, Archaeological Campaign 2002. In: Liber annuus 52 (2002), S. 475–478.
  • Michele Piccirillo: Archaeological campaign at Umm al-Rasas. In: Liber annuus 45 (1995), S. 513–514.
  • Michele Piccirillo, Eugenio Alliata (Hrsg.): Umm al-Rasas Mayfa‘ah I. Gli scavi del complesso di Santo Stefano (= Collectio Maior 28), Studium Biblicum Franciscanum, Jerusalem 1994.
  • Michele Piccirillo: L'identificazione storica delle rovine di Umm er-Rass – Kastron Mefaa in Giordania. In: Biblica 71, Heft 4 (1990), Seite 527–541.
  • Michele Piccirillo: Kastron Mefaa (Umm er-Rasas). Mosaic inscriptions from the Churches of St. Stephanos and of Bishop Sergios, late 6th-8th cent. A.D. In: Supplementum Epigraphicum Graecum 37 (1988), S. 1552–1611.
  • Michele Piccirillo: The Mosaics at Um er-Rasas in Jordan. In: Biblical Archaeologist 51, 4 (1988), S. 208–213.
  • Michele Piccirillo: The Complex of Saint Stephen at Umm er-Rasas-Kastron Mefaa. First Campaign, August 1986. In: Annual of Department of Antiquities of Jordan 30, (1986), S. 341–351.
  • Michele Piccirillo, Eugenio Alliata (Hrsg.): Umm al-Rasas Mayfa‘ah I. Gli scavi del complesso di Santo Stefano (= Collectio Maior 28), Studium Biblicum Franciscanum, Jerusalem 1994.
  • Stefania Tateo: Umm er-Rasas (Jordan): From Roman-Byzantine to Islamic Town. In: Environmental Design: Journal of the Islamic Environmental Design Research Centre 18, 2000, S. 22–31.
  • Jacques Bujard, Michelle Joguin: La fortification de Kastron Mayfa'a/Umm ar-Rasas. In: Studies in the History and Archaeology of Jordan 5 (1995), S. 241–249.
  • Yoel Elitzur: The Identification of Mefa'at in View of the Discoveries from Kh. Umm er-Raṣāṣ. In: Israel Exploration Journal 39, Heft 3/4 (1989), S. 267–277.
  • Michele Piccirillo: Le iscrizioni di Um er-Rasas-Kastron Mefaa in Giordania. In: Liber annuus 37 (1987), S. 177–239.
  • Glen W. Bowersock: Limes Arabicus. In: Harvard Studies in Classical Philology 80 (1976), S. 219–229.
  • Nelson Glueck: Explorations in Eastern Palestine, I. In: The Annual of the American Schools of Oriental Research 14, 1933–1934, S. 39.
  • Alfred von Domaszewski, Rudolf Ernst Brünnow: Die Provincia Arabia auf Grund zweier in den Jahren 1897 und 1898 unternommenen Reisen und der Berichte früherer Reisender beschrieben. Band 2: Der äussere Limes und die Römerstrassen von el-Maan bis Bo.sra. Trübner, Straßburg 1905. S. 63–72.
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Commons: Umm ar-Rasas – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Edward Lipiński: On the Skirts of Canaan in the Iron Age. Peeters Publishers, Leuven, 2006, S. 331
  2. a b c d Michele Piccirillo: Les églises paléochrétiennes d’Umm er-Rasas (Jordanie). Cinq campagnes de fouilles. In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 1991, S. 273–294; hier: S. 276.
  3. Francesco Benedettucci: Ceramica del Ferro IIc. In: Michele Piccirillo, Eugenio Alliata (Hrsg.): Umm al-Rasas Mayfa‘ah I. Gli scavi del complesso di Santo Stefano (= Collectio Maior 28), Studium Biblicum Franciscanum, Jerusalem 1994, S. 272–273.
  4. Ariel S. Lewin: The Impact of the Late Roman Army in Palaestina and Arabia. In: Lukas de Blois, Elio Lo Cascio (Hrsg.): The Impact of the Roman Army (200 BC–AD 476). Economic, Social, Political, Religious and Cultural Aspects, Proceedings of the Sixth Workshop of the International Network Impact of Empire, Capri, March 29–April 2, 2005, Brill, Leiden/Boston 2007, ISBN 978-90-04-16044-6, S. 463–480, hier: S. 474.
  5. Jacques Bujard, Michelle Joguin: La fortification de Kastron Mayfa'a/Umm ar-Rasas. In: Studies in the History and Archaeology of Jordan 5 (1995), S. 241–249; hier: S. 243.
  6. a b c Ghazi Bisheh, Ina Kehrberg, Lara Tohme, Fawzi Zaydine: The Umayyads and their Christian Subjects. In: The Umayyads. The Rise of Islamic Art. Arab Institute for research and publishing, International Museum with no frontiers exhibition cycles, Spanien 2000, ISBN 1-874044-35-X, S. 77–108; hier: S. 54.
  7. a b c Basema Hamarneh: Dynamics and Transformation of the Rural Settlements of Provincia Arabia and Palaestina Tertia in Omayyad and Early Abbasid periods. Archaeological Evidence. In: Paolo Matthiae, Frances Pinnock, Lorenzo Nigro, Nicolò Marchetti (Hrsg.): ICAANE 6. Proceedings of the 6th International Congress of the Archaeology of the Ancient Near East. 3, Islamic Session, Posters Session, Harrassowitz, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-447-06217-6, S. 91–110; hier: S. 93–94.
  8. Ghazi Bisheh, Ina Kehrberg, Lara Tohme, Fawzi Zaydine: The Umayyads and their Christian Subjects. In: The Umayyads. The Rise of Islamic Art. Arab Institute for research and publishing, International Museum with no frontiers exhibition cycles, Spanien 2000, ISBN 1-874044-35-X, S. 77–108; hier: S. 94.

Koordinaten: 31° 29′ 59″ N, 35° 55′ 11″ O